In Hamburg wurden in einem Jahr 20 Prozent mehr Fälle registriert. Experte: Eltern verharmlosen den Konsum.

Hamburg. Der Abend war fröhlich und laut. Es wurde gelacht. Es wurde getrunken. Es wurde der Notarzt gerufen, als die Flaschen leer waren. Und Gina voll. Gina ist 14 - und nur ein Beispiel für eine alarmierende Entwicklung. Die Zahl der Jugendlichen, die sich ins Koma saufen, nimmt weiter zu. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes landeten 2008 insgesamt 25 700 Kinder und Jugendliche mit Alkoholvergiftung in Krankenhäusern, davon 4500 im Alter von zehn bis 15 Jahren. Damit hat sich die Zahl der Jugendlichen bis 20 Jahre, die mit einer Alkoholvergiftung klinisch behandelt werden mussten, seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt.

In Hamburg wurden 853 Fälle registriert - ein Anstieg von knapp 20 Prozent zum Vorjahr. Rückblickend auf die vergangenen zehn Jahre liegt der Anstieg bei 266 Prozent. "Die Alkoholproblematik bei Kindern und Jugendlichen hat sich deutlich verschärft", sagt Professor Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter der Abteilung Suchtstörungen in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am UKE. Was in Jugendkreisen als Komasaufen oder Kampftrinken bezeichnet werde, führe immer häufiger zu lebensbedrohenden Alkoholvergiftungen. "Diejenigen, die trinken, trinken immer extremer", sagt Thomasius. "Die Hälfte aller Zwölfjährigen macht heute bereits erste Erfahrungen mit Alkohol."

Betroffen sind vor allem junge Mädchen. "Sie orientieren sich an den älteren Jungs, vertragen aber viel weniger Alkohol als diese", so Thomasius. "Die Grenze zur Bewusstlosigkeit ist viel schneller überschritten." Von einem "unbedarfteren Umgang mit Alkohol" spricht der Leiter des Büros für Suchtprävention, Theo Baumgärtner. "Jugendliche, die ohnehin schon eine Affinität zum Trinken hatten, haben ihre Schlagzahl erhöht - bis zur Klinikeinlieferung."

Der Behörde für Gesundheit ist das Problem bekannt. "Wir versuchen, mit Aktionen und Infokampagnen aufzuklären", sagt Sprecher Rico Schmidt. Wichtig sei dabei vor allem, frühzeitig mit den Eltern der Betroffenen Kontakt aufzunehmen. Denn genau diese seien häufig das Problem. "Jugendliche gehen heute unbedarfter mit Alkohol um", sagt Suchtexperte Theo Baumgärtner. "Weil die Eltern den Alkoholkonsum verharmlosen." Überall müsse es immer mehr sein. "Ein genussvoller Umgang, ein Innehalten wird doch gar nicht mehr vorgelebt", so Baumgärtner. "Alles muss XXL sein, das größte Schnitzel, die längste Bockwurst - das gilt dann auch für die Menge an Alkohol." Außerdem werde vieles Gute seitens der Erwachsenen nur mit Alkohol verknüpft. "Ein Alstereisvergnügen ohne Glühwein ist eben kein Vergnügen." Das sei die falsche Botschaft.

Ganz oben auf der Beliebtheitsskala der Alkoholika bei Jugendlichen sind Biermixgetränke. Sie werden laut einer Hamburger Erhebung zum Suchtmittelkonsum von Jugendlichen inzwischen von etwa einem Drittel aller jungen Menschen mehrmals monatlich konsumiert.

Neben dem Anstieg der sehr jungen sogenannten "Binge-Trinker", die exzessiv episodisch Alkohol konsumieren, hat die Studie aber auch ergeben, dass das Durchschnittsalter der ersten Erfahrungen im Umgang mit Alkohol seit 2004 kontinuierlich angestiegen ist. "Dieser Trend ist erfreulich", sagt Gesundheitssenator Dietrich Wersich. Die Zahlen zeigten aber auch, dass die Anstrengungen gegen den verfrühten Suchtmittelkonsum nicht nachlassen dürften.

Aus diesem Grund wird das Hamburger Projekt "Halt" ("Hart am Limit") nun evaluiert. Demnach sollen Jugendliche nach behandelter Alkoholvergiftung in einem "Brückengespräch" noch im Krankenhaus angesprochen werden. Zusätzlich gibt es ein Gruppenangebot. Zur Aufklärung will die DAK mit der Kampagne "bunt statt blau" beitragen. Jungen und Mädchen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren sollen Plakate gegen das "Komasaufen" entwerfen.

www.dak-buntstattblau.de