Es ist der Wahnsinn: Warum nur ist in Deutschland das Wort für kollektive Verrücktheit zum Jubelruf geworden?

Von den Ratschlägen, die mein Vater mir hinterlassen hat, erinnere ich mich besonders gern an diesen: "Immer schön vorsichtig mit Fremdwörtern! Man kann nie wissen, was sie bedeuten."

Das gilt nun aber auch für den ganzen Neusprech, den die digitalisierte Kommunikation uns beschert hat, und für die sogenannte Jugendsprache, aus der wiederum diverse "Szenesprachen" hervorgegangen sein sollen.

Kann man sicher sein, dass "Axolotl Roadkill" nicht eigentlich eine jugendsprachliche Neuschöpfung für bürgerliche Beschwerden über die Schlagloch-Plage ist - die Plage also, die nun die Achsen der Autos auch jener Menschen brechen will, die sich selber auf dem Glatteis (noch) nichts gebrochen oder geprellt haben? Noch deshalb, weil es Meteorologen gibt, die unken, der Winter könne auch im März noch mal zuschlagen.

Und was war diese winterliche Veranstaltung in Vancouver? Richtig: Wahnsinn! Oder erinnern Sie sich an Olympische Winterspiele, bei denen die Berichterstatter, aber auch die siegreichen Athletinnen so oft in den Ruf "Wahnsinn!" ausgebrochen wären? Wie die Doppel-Olympia-Siegerin Maria Riesch zum Beispiel: "Besser geht es kaum - ein Wahnsinn!" Soll das jetzt die neue deutsche Steigerung sein: gut, besser, Wahnsinn?

"Von wegen Plan - es war der pure Wahnsinn!", hat die deutsche Eisschnelläuferin Stephanie Beckert zur Goldmedaille ihres Teams gesagt, die gewonnen wurde, obwohl Anni Friesinger kurz vor dem Rennen ausgetauscht wurde; sie war bei einem früheren Rennen gestürzt und bäuchlings über die Ziellinie gerutscht. Aber nicht ihr, sondern der Riesenslalom-Siegerin Viktoria Rebensberg widmete "Bild" die Überschrift "Vicky, du bist der Wahnsinn!" Da wirkt es schon fast verlegen, wenn der Schweizer Skispringer Simon Ammann seine Goldmedaille bloß "extrem vollgeil" findet.

Ich bin ein Kriegskind, ich kann verstehen, dass man ein Wort mit ursprünglich negativer Bedeutung zum Superlativ erhebt. Wir waren am Ende des Krieges 15 Jahre alt und standen orientierungslos vor den Trümmern. Wenn wir in meiner Clique etwas besonders gut fanden, dann haben wir es mit dem Adjektiv "sinnlos!" dekoriert. Eine Art Trotzreaktion? Mag sein.

Vielleicht sollten wir mal in Ruhe darüber nachdenken, warum in diesem unserem Lande das Wort für kollektive Verrücktheit zum Jubelruf geworden ist.