Cemil Ozkan (Name geändert). wohnt in einer 72 Quadratmeter großen Wohnung in Altona-Nord. Mit seiner Frau und zwei Kindern, 9 und 13 Jahre alt. Sein ganzer Stolz. Manchmal lädt Ozkan, der vor 41 Jahren in der Türkei geboren wurde und mit drei Monaten nach Hamburg kam, seine Familie ins Kino ein. Dann trinken sie aus einem großen Colabecher, jeder hat einen Strohhalm, und essen das Popcorn, das Papa in den Kinosaal geschmuggelt hat. Popcorn ist teuer, und Klassenfahrten sind auch teuer. Am Kühlschrank in Ozkans Wohnung hängt ein Zettel, der die Eltern über die Klassenfahrt der Tochter informiert. 150 Euro soll die kosten. Zu viel. Er hat seine vermögenswirksamen Leistungen aufgekündigt. Knapp 1000 Euro bringt ihm das im Jahr, es ist Geld , das er eigentlich sparen wollte. Jetzt kann er davon die Reise der Tochter bezahlen, der Rest ist auch bereits verplant. Die Familie lebt bescheiden, gemütlich ist es trotzdem in ihrer Wohnung; und ordentlich. Äußerlich. In Ozkan, innendrin allerdings, da tobt ein Sturm. Er fühlt sich gedemütigt, ausgelaugt, miserabel. Weil er seiner Familie nicht mehr bieten kann.

Cemil Ozkan ist Busfahrer. Er verdient 1917,50 Euro im Monat. Brutto.

"Das reicht nicht zum Leben", sagt Ozkan, der im Schnitt 190 Stunden im Monat arbeitet. Er bekommt nicht wirklich viel Nachtzuschlag, am Wochenende gar keinen. Dafür überweist ihm das Amt jeden Monat 82 Euro. Grundsicherung heißt die Sozialleistung, Ozkan nennt sie Wohngeld. Und egal, was der richtige Ausdruck ist: Die 82 Euro sind der Grund, dass Ozkan Zweifel am großen Ganzen bekommt, am System, an der Gerechtigkeit. Wie kann einer von früh bis spät arbeiten und muss trotzdem zum Amt gehen, um seine Familie zu ernähren?

Ozkan kann das nicht verstehen. Er ist ausgebildeter Busfahrer, seit 2001 bei der Pinneberger Verkehrsgesellschaft, die in diesen Tagen von ihren Busfahrern immer wieder bestreikt wurde, um mehr Lohn zu bekommen. Er hat keine gebrochene Biografie, "wir haben nie, auch mein Vater nicht, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam, daran gedacht, vom Staat zu leben." Ozkan fährt jeden Tag einen Zwölf-Meter-Bus, 90 Leute sitzen da drin. Ozkan fährt auch seine Tochter zur Schule. Und deren Freundinnen. Jeder weiß, der Busfahrer, das ist der Papa von Sibel. "Meine Kinder haben keine Ahnung, wie sehr ich aufs Geld schauen muss", sagt Ozkan. Und auch nicht die Nachbarn, die anderen Eltern. Ozkan ist Elternsprecher. Er glaubt nicht, dass eine der anderen Familien von 1600 Euro netto leben muss. Dass jemandem schon einmal auf dem Amt gesagt wurde, er solle doch mit seiner Familie zur Hamburger Tafel gehen, wenn das Geld nicht reiche.

Glücklich ist er nicht mit seinem Leben, sagt Ozkan. Er fährt so gut wie immer nachts. Das bringt etwas mehr Geld. Wenn er nach Hause kommt, müssen seine Kinder zur Schule. Wenn sie nach Hause kommen, muss er los.

Ozkan ist nicht der einzige Aufstocker in seinem Betrieb. Und seit zwei Jahren befindet er sich in einer Privatinsolvenz. Irgendwann konnte er die Rechnungen nicht mehr bezahlen - wie viele seiner Kollegen. Die haben ihm erklärt, dass es so etwas gibt.

Nichts Ungewöhnliches bei Busfahrern heutzutage, so eine Privatinsolvenz, sagt Ozkan.

Es ist vielleicht schon ein bisschen unfair, jetzt Ralf-Dieter Pemöller auf die Lebensumstände seiner Bediensteten anzusprechen. Der Chef der Pinneberger Verkehrsgesellschaft (PVG) muss gerade einen Streik seiner Busfahrer durchstehen, und das ist nie schön. 200 Euro mehr, das gleiche Geld wie die Kollegen von der Hochbahn, verlangen seine Leute. Pemöller sagt, dass er seinen Leuten tariflich entgegenkommen will, "aber so wenig verdienen sie auch nicht". Vielleicht muss er das sagen, klar ist aber: Genau das will niemand der Busfahrer hören. Pemöller zuckt mit den Schultern, sagt: "Wenn wir die Löhne zahlen würden, die gewünscht werden, müssen wir die Fahrpreise erhöhen - dann haben wir die nächste Diskussion." Es klingt nicht so, als würde er das Gespräch gerne führen. Als Arbeitgeber steht man leicht am Pranger. Übergeordnete Fragen nach der Beschaffenheit eines Systems, in dem Arbeitnehmer in Vollzeit trotzdem Leistungen des Staates in Anspruch nehmen müssen, prallen an ihm ab. Wenn einer meiner Mitarbeiter, sagt Pemöller, "Wohngeld bekommt, dann ist das sein gutes Recht; als Gesellschaft haben wir das so festgelegt." Die Dinge sind so, wie sie sind; und wenn es ein staatliches Unternehmen ist wie die VHH-PVG-Gruppe ist, die so wenig Lohn zahlt, dass der Staat an anderer Stelle zuschießen muss, dann kann Pemöller dazu nichts mehrsagen.

So ist das eben.