Von Beust greift die Eliten an: “Einige denken nur noch materiell.“ Michael Neumann hält Ausgang des Volksentscheids für “völlig offen“.

Hamburg. Die innerparteiliche Kritik an der Primarschule hat auch bei Bürgermeister Ole von Beust (CDU) ihre Spuren hinterlassen. "Viele fragen mich: Bist du ein Linker geworden, ein Sozi?", zitierte von Beust in seiner Rede zur Schulreform in der Bürgerschaft Parteifreunde. "Aber keine Sorge, ich stelle keinen Asylantrag bei Ihnen", sagte der Bürgermeister lachend in Richtung der SPD-Opposition.

Mit einem entschiedenen Plädoyer für die Schulreform hatte von Beust die Debatte über die Änderung des Schulgesetzes eröffnet, die das Parlament dann einstimmig beschloss. "Senat und Bürgerschaft machen der Stadt ein Angebot für bessere Schulen und mehr Chancengerechtigkeit", sagte der Bürgermeister. Nach Jahrzehnten könne die schulpolitische Diskussion mit der Einführung des längeren gemeinsamen Lernens, das europäischem Standard entspreche, beendet werden.

Nach dem Scheitern der Kompromissgespräche mit den Primarschulgegnern der Volksinitiative "Wir wollen lernen" hatte der schwarz-grüne Senat sich mit SPD und Linken auf einen Pakt für die Reform verständigt. Die Einigung sieht unter anderem vor, dass die Klassen in den Primarschulen einklagbar nicht mehr als 23 Kinder, in sozialen Brennpunkten nicht mehr als 19 Kinder haben. Das Büchergeld wird abgeschafft, und das Elternwahlrecht in der bisherigen Form wird auf das Ende der sechsten Klasse verlagert. Dieser Vorschlag steht nun als Gegenmodell zum klaren Nein der Reformgegner beim Volksentscheid im Sommer zur Abstimmung.

Von Beust setzte sich für mehr Integration im Zuge des längeren gemeinsamen Lernens ein. "Ich will, dass auch die Kinder alle Chancen haben, deren Eltern nicht dazu in der Lage sind, das zu ermöglichen", sagte der Bürgermeister; dessen Rede immer wieder vom Beifall des ganzen Hauses unterbrochen wurde. Und er attackierte erneut "einen Teil der Eliten, die nicht ihre Pflicht tun, sondern nur materiell denken" und ihre Partikularinteressen vertreten. "Früher war es in Hamburg ein ungeschriebenes Gesetz, dass man Wohlstand nicht zeigt." Das gebe es auch heute noch. "Doch viele geben mit ihrem Wohlstand protzig und hemmungslos an", so Beust. Ausdrücklich zollte er den Reformgegnern Respekt: "Viele wollen einfach das Beste für ihre Kinder." Es gebe Misstrauen und die "Urangst" vor Veränderungen. "Ich werde alles daransetzen, dieses Misstrauen zu widerlegen." Eindringlich mahnte er zu einer fairen Auseinandersetzung im Rahmen des Volksentscheids. "Mir hat der Chef von Budnikowsky erzählt, dass er E-Mails erhält, in denen Kunden mit einem Boykott drohen, falls er sein Ja zur Schulreform nicht aufgibt", sagte von Beust. "So geht man mit unterschiedlichen Meinungen nicht um", setzte er unter dem Beifall aller Fraktionen hinzu.

Als "völlig offen" bezeichnete SPD-Fraktionschef Michael Neumann den Ausgang des Volksentscheids im Sommer. Dass sich Teile der Bevölkerung nun "unversöhnlich gegenüberstehen" sei Schwarz-Grün zuzuschreiben, betonte Neumann, der auch im angebrochenen Schulfrieden nicht auf Attacken auf den Senat verzichtete. "Bereits im Sommer haben wir einen Konsens vorgeschlagen, aber der Bürgermeister und die Schulsenatorin hatten es damals offenbar nicht nötig, darauf einzugehen", sagte der Oppositionsführer. Erst nachdem 180 000 Unterschriften gegen die Reform vorlagen, hätten CDU und GAL ihre Fehler eingesehen.

"Voller Skepsis und Zweifel" sei die SPD hinsichtlich der Primarschule gewesen, räumte Neumann ein. "Auch wir verfolgen das Ziel des längeren gemeinsamen Lernens", sagte der SPD-Mann. Schadenfreude darüber, dass sowohl Schwarz-grün-Senat als auch die Sozialdemokraten von ihrem ursprünglichen Konzept abrücken mussten, sei aber "auf beiden Seiten des Parlaments" nicht angebracht. Neumann bezeichnete die Abschaffung des Büchergeldes als "sozialdemokratischen Erfolg".

Der Schulfrieden sei nun aus Sicht der SPD ein "heilsamer und störungsfreier Zustand, dessen Gewinner die Schülerinnen und Schüler sein werden". Es dürfe im Parlament aber nicht zur Vermeidung von Konflikten und damit zum schulpolitischen Stillstand kommen, sagte Neumann, der zugleich eine Liste bleibender Streitpunkte präsentierte - vom "Schattenhaushalt beim Schulbau" bis zu Engpässen des doppelten Abitur-Jahrgangs. "Bildungspolitik wird in Hamburg nicht langweilig."

GAL-Fraktionschef Jens Kerstan räumte ein, dass der ursprüngliche Verzicht von Schwarz-Grün auf das Elternwahlrecht "ein Fehler war, den wir bedauern". Jetzt liege ein "Angebot auf dem Tisch, auf das andere Länder schon mit Neid" blickten.

Auch Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn bekannte sich klar zum Pakt zur Schulreform. "Wir sehen in der Einigkeit ein Signal, das Schulsystem gerechter und leistungsfähiger zu machen", so Heyenn. Die sechsjährige Primarschule sei ein erster Schritt in die richtige Richtung. Vor Beginn der Bürgerschaftssitzung hatten die Spitzen von CDU, SPD und GAL die Vereinbarung zu einem zehnjährigen Schulfrieden unterzeichnet - ohne Die Linken.

"Wir wollen mehr Chancengerechtigkeit und leistungsfähigere Schulen garantieren, niemand darf in unserer Gesellschaft zurückbleiben", sagte CDU-Fraktions- und Parteichef Frank Schira. "Der Schulfrieden ist ein wichtiges Signal in die Stadt hinein, als Zeichen der Verlässlichkeit für die Schüler, Lehrer und Eltern. Wir hoffen, dass nun breite gesellschaftliche Bündnisse für das gemeinsame Lernen entstehen", so GAL-Landeschefin Katharina Fegebank. "Jetzt ist die Schulreform so gut, dass man sie den Hamburgern empfehlen kann", sagte SPD-Parteichef Olaf Scholz. "Ein rechtlicher Anspruch auf kleinere Klassen sowie Chancen auf ein Abitur für alle, das ist für uns von ganz großer Bedeutung."