Sozialsenator Wersich (CDU) habe “getrickst, getäuscht und getarnt“, sagt Thomas Böwer (SPD). Lara war trotz Betreuung unterernährt gestorben.

Hamburg. Im Fall des toten Babys Lara erhebt die SPD-Bürgerschaftsfraktion schwere Vorwürfe gegen Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU). Der Senator habe nicht nur die Öffentlichkeit "bewusst getäuscht", sondern auch das Parlament "hinters Licht geführt". Hintergrund dieser Aussagen ist die Lektüre der rund 290 Akten zum Fall Lara. Nach anfänglicher Weigerung hatte der Senat die Unterlagen auf Antrag der SPD vor rund zwei Wochen der Bürgerschaft zur Einsicht gegeben.

Das neun Monate alte Baby Lara war am 11. März 2009 tot in der Wohnung der Mutter in Wilhelmsburg aufgefunden worden. Trotz Betreuung durch das Jugendamt und das Rauhe Haus wog dasMädchen bei seinem Tod nur noch 4,8 Kilogramm - halb so viel wie normal in diesem Alter. "Der Expertenbericht, den die Sozialbehörde nach dem Tod des Babys angefertigt hat, ist eine bewusste Vortäuschung falscher Tatsachen", so der SPD-Abgeordnete Thomas Böwer. Dies sei nach Lektüre der Akten klar. "Es ist alles gelöscht worden, was hätte belegen können, dass Fehler gemacht wurden", so Böwer.

So heißt es in dem Expertenbericht der Sozialbehörde, der den Fall Lara und die Betreuung durch das Jugendamt aufarbeiten sollte, unter anderem "Die ermittelnden Beamten haben in der Wohnung der Eltern Nahrungsmittel für Babys sowie Windeln vorgefunden, im Kinderbett habe zudem ein Fläschchen gelegen. Lara sei in einem guten Pflegezustand gewesen. Von Verwahrlosung im herkömmlichen Sinne könne man nicht sprechen."

Die Polizeibeamten, die am Todestag vor Ort in der Wohnung waren, beschreiben dies nach Abendblatt-Informationen ganz anders. So soll es einen beißenden Fäkaliengeruch in der Wohnung gegeben haben, benutzte Windeln hätten sowohl im Kinderbett als auch auf dem Fußboden gelegen. Die Wohnung habe sich in einem verwahrlosten Zustand befunden.

Tatsächlich gehen die Rechtsmediziner nach Abendblatt-Informationen davon aus, dass selbst ein medizinischer Laie die gefährliche Unterernährung des Babys hätte erkennen können - und zwar schon lange vor dem Tod des Mädchens, selbst in bekleidetem Zustand.

Davon steht im Expertenbericht der Sozialbehörde nichts. Wersich sprach von einer "Routinefalle", in die die vom Jugendamt beauftragte Betreuerin des Rauhen Hauses getappt sei, und deshalb das nötige Misstrauen und den Blick für die Missstände im Fall Lara verloren habe.

Von der Überlastungsanzeige der Mitarbeiter des zuständigen Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) Wilhelmsburg an die Sozialbehörde ist im Expertenbericht nicht die Rede. "Der Senator ist an dieser Stelle seiner Verantwortung nicht gerecht geworden", so Böwer.

Nach Abendblatt-Informationen hat es massive Anstrengungen vonseiten der Behörde und offiziellen Stellen gegeben, die Tatsachen in der Öffentlichkeit so darzustellen, dass die Fehler vor allem bei der Betreuerin des Rauhen Hauses und dem Jugendamt, nicht aber bei der Behörde lagen. "Hätten die Verantwortlichen die gleiche Energie an den Tag gelegt, als das Kind noch lebte, wie sie hinterher darauf verwendet haben zu tricksen, tarnen und täuschen, wäre der Fall anders ausgegangen", so Böwer.

"Wie soll die Politik auf Fälle wie Lara reagieren, wenn das Parlament in der dazu anberaumten Debatte bewusst hinters Licht geführt wird?", fragt Böwer. Bis zur Akteneinsicht sei es "in der Deutlichkeit" nicht klar gewesen, dass das Parlament "bewusst getäuscht" worden sei.

Aus Sicht der Sozialbehörde ist der Fall Lara "mit dem Expertenbericht gründlich aufgearbeitet". Alles andere sei Sache der Staatsanwaltschaft. Die erhob Anklage gegen die Betreuerin, Laras Mutter und ihren Lebensgefährten. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest.