Vor fast drei Jahren begann Tobias Woydack als Stadtteilpastor im Hamburger Problemviertel Osdorfer Born. “Ich bin im Leben geerdet“, sagt er.

Wenn er aus seinem Pastorenzimmer heraustritt, einige Schritte läuft und die Hauptstraße überquert, dann ragt vor Tobias Woydack der übermächtige Affenfelsen empor. 21 Stockwerke hoch ist der Betonklotz aus dem gelobten Land von damals, den Sechzigern, als Bauten wie diese noch modern genannt wurden. Einmal, vor fast drei Jahren, warf eine verzweifelte Mutter ihr Neugeborenes aus dem zehnten Stock herunter. Kurz darauf begann Tobias Woydack als Stadtteilpastor im Hamburger Problemviertel Osdorfer Born. "Ich bin im Leben geerdet", sagt er.

Alles ist grau, auch die Außenfassade des Plattenbaus hat ihre weiße Farbe längst verloren, und auf der Gegenseite reihen sich wirre Balkonkonstruktionen aneinander. Der Asymmetrie wegen heißt der Riese nur Affenfelsen. Woydacks Blick wandert hinauf zu den heruntergekommenen Balkons, er knirscht mit den Zähnen, fischt eine Kippe aus der Tasche, findet kein Feuerzeug. Natürlich fragte er sich seinerzeit nach dem Sinn, hierhin zu kommen, und überhaupt, worauf er sich denn da bloß eingelassen hatte. Aber sein Einfluss war beschränkt. Woydack wurde von der nordelbischen Kirche in den Born delegiert, es war sein erster Pastorenjob, er musste sich fügen. Er sagt, dass es okay sei, hier zu sein, irgendwie. Es klingt genügsam statt überzeugend.

Ende der Sechzigerjahre wollte die Stadt einen urbanen Gegenentwurf zu den Villen in den Randbezirken und stampfte ungewollt einen sozialen Brennpunkt aus dem Boden. 13 000 Menschen leben hier auf 1,75 Quadratkilometern, inzwischen über 70 Nationalitäten, viele Asylanten, noch mehr Arbeitslose. Das Gros sind Sozialwohnungen, die Gewalt ist hoch, die Not groß. "Das Schöne ist, dass wir keinen Rechtsradikalismus haben", sagt der Pastor. Immerhin.

Tobias Woydack hat nur Halbschuhe angezogen, der Schnee des Vortages durchnässt die Enden seiner Jeans. Geräumt hat ihn keiner, hier, zwischen all den Hochhausblocks, wo jetzt, um halb zehn am Abend, sowieso niemand mehr entlanggeht. In der Dunkelheit wirkt der Born wie eingeschlafen. Das war anders vor Jahren, als noch Jugendgangs die Straßen regierten und sich gegenseitig bekriegten, Nacht für Nacht. "Heute ist jede soziale Einrichtung, die etwas auf sich hält, hier vertreten", sagt Woydack. Mit Erfolg, einem bisschen zumindest. Die Gangs sind weitgehend weg von der Straße und die Leblosigkeit prägt das Abendbild, weil sich der Großteil aus den Plattenbauten auch weiterhin nicht in die Dunkelheit hinauswagt. Woydack sagt, dass er besser nicht wissen wolle, was sich jenseits der Mauern an häuslicher Gewalt abspiele. Der Affenfelsen befindet sich gleich auf der anderen Straßenseite von der Pastorenwohnung. Daneben stehen die alte Gemeindezentrale und ein Gotteshaus, das von außen nur durch den bloßen Schriftzug "Kirche" zu identifizieren ist und den Eindruck einer Schulturnhalle erweckt. Auf dem Parkplatz lag bis vor wenigen Tagen noch eine abgebrannte Mülltonne. "Da hat sich jemand gedacht: Tonne! Brennt gut! Und hat das Ding angezündet." Nach Wochen hat irgendwer die Überreste weggeräumt. Der Gottesmann lacht und es schwingt Sarkasmus genauso mit wie Heiterkeit und Selbstironie.

Es ist seine Art, mit dem umzugehen, was er vorfindet. Tobias Woydack ist kein Fatalist, aber die Armut im Osdorfer Born, sie quält und macht müde. "Sechs, sieben Jahre kannst du hier arbeiten, dann musst du weg", sagt er. Seit mehr als zweieinhalb Jahren ist der Pastor jetzt da, er hat sich arrangiert. Er ist 35 Jahre alt und wohnt hier, weil er muss; das entschied die Kirche.

Sein Job als Seelsorger macht ihm Spaß, das schon. "Es ist toll, Menschen in für sie wichtigen Situationen beizustehen." Aber zu machen und zu tun, mit den Leuten zu reden und ihnen Hilfe zu offerieren, um dann zu sehen, dass doch nur wenig zu verändern ist, es frustriert. Sechzehn Jahre lang lernte er die schönen Seiten Hamburgs kennen, lebte an der Außenalster, an der Elbe und auf dem Kiez, "direkt an der Partymeile". Der knallharte Perspektivenwechsel war nicht einfach. Er sagt: "Später würde ich gerne mal im Mittelfeld arbeiten, in einem Viertel, wo sich Reichtum und Elend abwechseln und wo Elend nicht das Einzige ist."

Bedroht hat er sich nie gefühlt, "vielleicht ist das eine Sache der Einstellung". Tobias Woydack sagt, dass es in allen Stadtteilen Probleme gebe. Bei seinem Pastorenkollegen in Harvestehude ist das Problem, dass sich die Eltern vor der Scheidung nur über ihre Anwälte kontaktieren. Hier, am Born, ist es die Armut, die Perspektivlosigkeit. Woydack: "Bei uns wissen schon die Kleinen in der Kita, ohne es auszusprechen, dass sie später keine Chance haben werden."