An der Weser reden sie nicht gern von der Länderfusion mit dem großen Nachbarn Niedersachsen. Doch auf Dauer ist sie unvermeidbar. Denn die 660 000-Einwohner-Stadt steht vor dem Ruin.

Christian Wulff vermeidet jeden Anschein von Eile. Wann immer der christdemokratische niedersächsische Regierungschef auf eine Fusion mit Bremen angesprochen wird, winkt er taktvoll ab. Ein solches Gespräch könne nur vom potenziellen kleineren Partner ausgehen. Auch als Ehrengast beim traditionsreichen Schaffermahl in Bremen hat er am Freitag die gute Zusammenarbeit gelobt und über das Offenkundige geschwiegen: Bremen wird zum Ende des Jahrzehnts bankrott sein. Eine Fusion ist dann keine Verhandlungsfrage mehr sondern der letzte verbleibende Notnagel.

Deutschlands kleinstes Bundesland hat rund 16 Milliarden Euro Schulden angehäuft, das ergibt die mit weitem Abstand höchste Pro-Kopfverschuldung aller Bundesländer. Allein im Etat 2010 klafft bei einem Gesamtvolumen von rund vier Milliarden Euro ein Loch von 935 Millionen Euro. Die 300 Millionen Euro, die Bremen 2011 bis 2019 jährlich als Nothilfe erhält, reichen also nicht einmal aus, um die Zinsen der aufgelaufenen Schulden zu bezahlen. Hinzu kommen dramatisch steigende Ausgaben für pensionierte Beamte. Deren Zahl wächst bis 2020 in keinem Bundesland so stark an wie in Bremen. Dass der Stadtstaat es vor diesem Hintergrund tatsächlich schafft, in jährlichen Zehn-Prozent-Schritten die strukturelle Neuverschuldung bis 2020 auf Null zu bringen, ist illusorisch. Unter der Hand wird dies auch von Fachleuten aus der Senatsverwaltung bestätigt, die Politik allerdings erweckt querbeet den Eindruck, alles sei auf einem guten Weg.

Was nun eine Fusion angeht, so ist der Größenunterschied von acht Millionen Einwohnern in Niedersachsen und kaum 660 000 Einwohnern im Stadtstaat Bremen/Bremerhaven Chance und Problem zugleich. Die Bremer Schulden ließen sich so auf sehr viel mehr Schultern verteilen. Die Pro-Kopfverschuldung in Niedersachsen liegt gerade bei einem Drittel des Bremer Werts. Zudem wäre eine solche Verteilung nicht nur ein Stück Solidarität, sondern auch zu rechtfertigen. Die Bremer Schuldenprobleme haben nämlich nicht nur mit dem ungebremsten Ausgabeverhalten der Bürgerschaft zu tun, sondern auch mit dem zu eng geschnittenen Gebiet des Stadtstaates. Viele oft gut verdienende Pendler arbeiten in Bremen, aber zahlen ihre Lohn- und Einkommenssteuer im niedersächsischen Speckgürtel an ihrem Wohnsitz. Die Einwohnerzahl geht weiter langsam zurück. Aber natürlich nutzen die Menschen aus dem Umland weiter teure Bremer Einrichtungen vom Theater bis zum Klinikum.

Der Stadtstaat leistet zudem trotz leerer Kassen seit Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zur Lösung eines niedersächsischen Problems. In Bremen studieren weit mehr junge Leute als es der Einwohnerzahl entspricht - und Niedersachsen bietet weit weniger Studienplätze an als für seine Bevölkerung gebraucht werden.

Natürlich müsste im Fusionsfall die Bundesebene mitspielen, damit einem fusionierten Bundesland die besseren Finanzzuweisungen eines Stadtstaates nicht verloren gehen. Klar ist auch: Bremens hohe Soziallasten sind auch klassische Folge eines "Staubsaugereffekts". Problemgruppen, die die Sozialkassen besonders belasten, konzentrieren sich in den Metropolen, die also eine Überlast tragen für die umgebende Region.

Das zentrale Problem der eigentlich unumgänglichen Fusion ist aber ein anderes: Es ist der Bremer Lokalpatriotismus mit dem Selbstverständnis der früher reichen, heute nur noch traditionsreichen Hansestadt. Man will nicht aus dem fernen Hannover regiert werden. Jeder Versuch, sich auch nur anzunähern, ist schwer schon wegen des Größenunterschieds. Während die vergleichbar großen Länder Hamburg und Schleswig-Holstein durch die Zusammenlegung von Behörden erste Schritte in Richtung Länderehe gehen, scheiterte der bislang einzige Versuch zwischen Niedersachsen und Bremen kläglich: Die bereits fest vereinbarte Zusammenlegung der Statistikämter wurde zu den Akten gelegt. Und was den Jade-Weser-Port angeht, das Gemeinschaftsprojekt eines neuen Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven, so hat sich inzwischen schon ein Untersuchungsausschuss des Landtages in Hannover mit der heiklen Frage beschäftigt, wer da eigentlich wen über den Tisch ziehen wollte.

Was sich der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) schon vor Jahren traute, nämlich den Regierungssitz Hamburg infrage zu stellen für den Fall der Fusion mit Schleswig-Holstein, würde der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen wohl politisch nicht lange überleben. So bleibt eben nur abzuwarten. Erst wenn die Nothilfen im Zuge der Föderalismusreform auslaufen, der Kassensturz sich nicht mehr vermeiden lässt, wird sich Bremen bewegen müssen.

Immerhin: Es gibt bei genauem Hinsehen auch Realisten, die sich wenigstens ein wenig aus der Deckung trauen. Als im vergangenen Sommer der niedersächsische SPD-Landesvorsitzende Garrelt Duin die Abschaffung des Landes Bremen forderte, stieß er mindestens bei einem Spitzenpolitiker in Niedersachsen auf offene Ohren. Der damalige FDP-Fraktionschef im Landtag, Jörg Bode (inzwischen zum Wirtschaftsminister aufgerückt), sagte, es sei an der Zeit, "ernsthaft über neue Ländergrenzen nachzudenken und eine Neugliederung anzustreben". Bode forderte eine frühzeitige Einbeziehung der Bürger in diesen Prozess - schließlich steht am Ende eines Fusionsprozesses eine Volksabstimmung. Und die ist in Berlin und Brandenburg schon einmal gescheitert.