Die Stimmung ist gereizt, die Gesprächspartner vertrauen sich nicht. Am Freitag drohte die Verhandlung zu platzen. Michael Otto will vermitteln.

Hamburg. Jetzt hängt alles an einem seidenen Faden", sagte ein Delegationsteilnehmer, der sich eine kleine Pause gönnte, als die Verhandlungsrunde am Freitag im Rathaus noch lief. Sicher, in seiner Stimme lag die Sorge, das Ringen um eine gemeinsame Lösung könnte scheitern. Aber mindestens ebenso stark war sein Genervtsein spürbar.

Verständlich: Knapp 16 Stunden haben die Vertreter der schwarz-grünen Koalition und der Volksinitiative "Wir wollen lernen" nun am Verhandlungstisch im schmucklosen Raum 186 des Rathauses gesessen. In der zentralen Frage, ob die Primarschule flächendeckend und verbindlich noch vor der Bürgerschaftswahl 2012 eingeführt wird oder ob dies nur auf freiwilliger Basis in einigen Schulen geschieht, stehen sich die Positionen unverändert gegenüber.

Die Lage ist, gelinde gesagt, so unübersichtlich, dass selbst manche Verhandler angesichts der zahlreichen Vorschläge, Varianten und Untervarianten den Überblick verlieren. Es kommt hinzu, dass die Stimmung auch am Freitag mindestens phasenweise sehr gereizt war.

Dass sich die Delegationen am kommenden Mittwoch zu einer sechsten Runde treffen, ist im Wesentlichen das Verdienst eines Mannes: des Unternehmers Michael Otto, der als Moderator mit am Tisch sitzt. Er hat dafür gesorgt, dass beide Seiten bis dahin den Rat von Experten einholen wollen, um zu klären, ob ein Systemvergleich zwischen Primarschule und dem alten Modell (Grundschule bis Klasse vier) bis 2012 wissenschaftlich seriös möglich ist. Wenn es möglich ist, könnte eine Entscheidung über die flächendeckende Einführung der Primarschule noch 2012 fallen, wie es die Koalition fordert. Allein: Solche Wissenschaftler mit der Bereitschaft zur Turbo-Expertise sind rar gesät. Es ist also nicht verkehrt, von einer allerletzten Chance für eine Einigung im Schulstreit zu sprechen.

Aber der Reihe nach: Dass Otto seine Zurückhaltung während der ersten Gesprächsrunden inzwischen aufgegeben hat, zeigte sich schon am Donnerstag. Am Vormittag präsentierten Handelskammer-Präses Frank Horch und Kammer-Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz nach Informationen des Abendblatts intern erneut einen Einigungsvorschlag - es war bereits ihr dritter. Der langjährige Kammer-Vizepräses Otto hatte, wie das Abendblatt berichtete, bereits die beiden ersten Papiere abgelehnt, weil der Kammervorschlag praktisch die Position der Initiative (Einführung der Primarschule auf freiwilliger Basis) übernommen hatte. Jetzt hatten Horch und Schmidt-Trenz im Wesentlichen nur die Höchstzahl von 50 freiwilligen Schulen gestrichen und durch eine offene Formulierung ersetzt.

Otto drängte Horch und Schmidt-Trenz, dieses neue Papier auf keinen Fall in Umlauf zu bringen. Begründung: Die Chance, dass der Senat zustimme, sei auch hier gleich null. Mit Erfolg: Die überarbeitete Fassung wurde nicht an den Initiativensprecher Walter Scheuerl weitergeleitet. Aufseiten der Koalition erntete der Vorstoß der Kammer nur Kopfschütteln. Am Donnerstagnachmittag verständigten sich Otto und Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) darauf, dass neue Kammer-Papier als nicht existent zu betrachten. Zwischen Schwarz-Grün und Kammer herrscht nun "eisige Stimmung".

Die schwarz-grüne Laune wurde am Freitag gleich zu Beginn der Verhandlungen weiter getrübt, weil die Initiative darauf bestand, das bekannte (vorletzte) Kammer-Papier zur Grundlage der Gespräche zu nehmen. Genau das kam für die Koalition und auch für Otto nicht infrage. "Wir orientieren uns am Otto-Modell", hatte CDU-Fraktionschef Frank Schira schon vor Beginn der Gespräche gesagt. Das Modell enthält eine verbindliche Einführung der Primarschule.

Die Gespräche standen am Rande des Abbruchs. CDU und GAL drohten indirekt mit dem Scheitern, falls sich die Initiative nicht bereit zeige, über eine verbindliche Einführung zu verhandeln. Während einer längeren Auszeit lotete Otto abermals Spielräume in getrennten Gesprächen mit beiden Seiten aus.

Zur Überraschung von Schwarz-Grün konnte Otto ein Entgegenkommen der Initiative präsentieren: Die Scheuerl-Gruppe war nun erstmals bereit, einer flächendeckenden Einführung der Primarschule 2012 unter Bedingungen zuzustimmen. Danach sollte es in die Hand einer Expertenkommission gelegt werden zu ermitteln, ob ein seriöser Leistungsvergleich der beiden Systeme bis dahin möglich ist. Sollte das nicht möglich sein, würde die Kommission nur anhand fester Kriterien wie der Erfüllung vorgegebener Klassengrößen und räumlicher Ausstattung entscheiden, ob die jeweils nächste Reformstufe eingeläutet wird.

Es sah einen Moment lang nach Durchbruch aus, doch im Gespräch in der großen Runde klang es dann schnell anders. So blieb es beim Minimalkonsens: Beide Seiten befragen bis Mittwoch Experten ihrer Wahl, ob der Schüler-Leistungsvergleich in so kurzer Frist möglich ist. Und dann? Dann wird im Raum 186 über die Expertenmeinungen verhandelt. Die dürften kaum einheitlich ausfallen ...

Nach 16 Stunden Verhandlung drängt sich der Eindruck auf, dass eine Einigung immer unwahrscheinlicher wird. Das liegt auch daran, dass nach wie vor kein Klima des Vertrauens in der Runde entstanden ist. Zwei Beispiele: "Solange die Initiative von uns nichts schriftlich hat, glaubt sie gar nichts", sagte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan nach dem Treffen. Wer so etwas erzählt, bestärkt das Klima des Misstrauens eher. "Die GAL muss sich als Partei mit 150 bis 200 aktiven Mitgliedern entscheiden, ob sie das Schulschiff mit 180 000 Schülern und 300 000 Eltern einseitig als politische Partei beeinflussen will, oder ob sie auf Fachleute hört, die sagen, dass ein seriöser Systemvergleich erst nach drei Jahren möglich ist", sagte Walter Scheuerl. Wer sein Verhandlungsgegenüber öffentlich im Nebenbei als eine Art Splitterpartei mit zu viel Einfluss bezeichnet, der will vielleicht gar keine gemeinsame Lösung.