Die Grande Dame der Hamburger Gesellschaft starb am Montagabend. Die Witwe des berühmten Architekten Cäsar Pinnau wurde 85 Jahre alt.

Hamburg. Blankeneses schönste Villa ist verwaist; der schneeweiße Bau, achteckig und berühmt, mit weitem Blick über die Elbe, müsste Trauer tragen. Ruth Pinnau, Grande Dame nicht nur der Hamburger Gesellschaft, lebt nicht mehr; sie ist Montagabend im Alter von 85 Jahren gestorben, friedlich, mit einem Lächeln, wie ihr langjähriger Arzt und Freund der Familie, Prof. Wolfgang Teichmann, mitteilte. Sie wird mit dem Satz, einem ihrer letzten, so zitiert: "Ich hatte ein schönes Leben; ich kann nur dankbar sein." Von daher verbat sie sich jede lebenserhaltende Maßnahme.

Ruth Pinnau ist trotz ihres unwiderstehlichen Flairs und Glamours eine Frau geblieben, die nie den Boden unter den Füßen verloren hat, die die Realität ihres Alters schonungslos akzeptierte. Das Einzige, was sie tat: sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sie gehörte zu jener seltenen Spezies von Menschen, die sich verpflichtet fühlen, das noch einmal zu erwerben, was sie schon besitzen - Goethes Maxime getreu: "Was du ererbt von deinen Vätern ..." Für Ruth Pinnau hieß das, die Stellung, die sie an der Seite ihres Mannes innehatte, für sich selbst noch einmal neu zu erobern, um dann mit ihrer Stimme dem Ruhm ihres Mannes zu dienen.

So begann sie ihre schriftstellerische Laufbahn erst nach seinen Tod. Ihm, dem berühmten Architekten Cäsar Pinnau, ein literarisches Denkmal zu setzen, war zunächst ihr Anliegen. Wiewohl Pinnau in den 50er- und 60er-Jahren zu den bedeutendsten Architekten Deutschlands gehörte - halb Blankenese und Falkenstein ließ sich von ihm die wie mit leichter Hand hingesetzten Villen errichten -, wurde er doch immer noch mit dem Unterton, ein Handlanger Speers gewesen zu sein, leicht näselnd beurteilt; das gab sich erst, nachdem er seine Handschrift auch international, in New York mit dem PanAm-Gebäude und im Mittelmeer mit der "Christina", der umschwärmten Yacht von Aristoteles Onassis, gegen jede Häme durchgesetzt hatte.

In der Tat hatte Pinnaus Laufbahn im Büro des berüchtigten Albert Speer begonnen, aber nur, wie man heute sagen würde, als besserer Praktikant - es sei denn, man sähe bereits darin eine Beurteilung seines Talents.

Dieses einer vergesslichen Nachwelt zu erhalten, gelang Ruth Pinnau in ihrem Meisterwerk: "Der Sieg über die Schwere". Ein "opus magnum", ein Buch, wie man es, wenn überhaupt, nur einmal schreibt, voller Elan, Tiefgang und der journalistischen Dichte eines Schwarzen Lochs: wo nichts hinzuzufügen ist, aber auch kein Wort davon zu streichen. So ein Werk setzt ein fesselndes Leben wie das ihre voraus, an der Seite eines ungewöhnlich selbstsicheren Mannes, in den höchsten Kreisen der Gesellschaft, deren Ansehen man freilich auch erst erringen muss.

Offenbar war das ein Leichtes für sie - die geborene Ruth Schultz, Tochter eines Marineoffiziers aus Stralsund: Sie war eine Schönheit, wie sie aus Hollywood hätte stammen können; dazu ein kluger Kopf, promoviert als Kunsthistorikerin und jenseits aller Arroganz, auch wenn sie mit einem einzigen Wimpernschlag eine damenhafte Distanz aufkommen lassen konnte. Anderseits war sie sich nie zu schade, gegen Mitternacht in der Küche aufkeimende lukullische Wünsche ihrer Gäste zu erfüllen. Für sie war es kein Stimmungsbruch, das Gespräch über Strömungen der deutsch-römischen Romantik im Italien des 18. Jahrhunderts kurz für die Suche nach dem Cayennepfeffer zu unterbrechen.

Die Abende mit ihr in der hohen, achteckigen Bibliothek in hellem Holz gehörten für jeden Besucher zum Erlauchtesten, was Hamburg zu bieten hat. Herrin dieses Anwesens zu sein, das Cäsar Pinnau ihr zu Ehren erbaut hatte, war für sie stets unruhiger Ansporn, damit auch in gerechter Weise umzugehen. Es trieb sie um, was aus diesem Sitz nach ihrem Tode werden würd ...

Hier schrieb sie ihre Bücher: "Der Geist der Palmaille", die Liebeserklärung an Altona, oder "Das Wasser war viel zu tief ..." - mehr als ein Abriss über Glück und Tragik großer Leidenschaften mythischer Paare. Waren diese Bücher immer noch irgendwie eine Hommage für ihren Mann, den sie nur "C" nannte, so fand sie mit ihren späteren Schriften über die deutschen Philosophen endgültig ihren eigenen Weg.

Und so wurden die 90er-Jahre die fruchtbarsten ihres Lebens, wenn sie - in ihrem großen Bett liegend - mit tiefer Glut für ihr jeweiliges Thema schrieb, freilich nach strengster wissenschaftlicher Recherche. Zurück lagen die Jahre des Jetset, als sie auf der berühmten Onassis-Yacht mit der tragischen Muse Maria Callas "konnte", mit der spröden Jackie O. aber nicht, wenn sich in ihr Cabriolet nach Sylt Größen wie Peter Bamm ("Die unsichtbare Flagge"), Romy Schneider oder C.W. Ceram auf den hinteren Sitz klemmten. Bilder von damals zeigen eine dunkelhaarige, hinreißende Frau, Typ Ava Gardner - ohne wie diese aus Männern Lemminge zu machen, die sich die Klippen herabstürzten, wie Frank Sinatra es nach der Trennung von der "göttlichen Ava" vorhatte.

Es war bei Ruth Pinnau keineswegs der Blick zurück im Zorn; es waren im Gegenteil diese Erinnerungen, die sie ihre zahlreichen Operationen im Alter gelassen meistern ließen. "Nach jedem Aufwachen aus der Narkose", erzählte sie einmal, "wusste ich, ich stehe immer noch auf der Sonnenseite des Lebens." Mit ihren Büchern hoffte sie, die letzte Zeugin einer untergegangenen Epoche, einiges, ganz im Sinne Goethes, zurückgezahlt zu haben.

Restlos zufrieden damit war sie freilich nie - Hanseatin eben.