Lothar Scholz sorgt zu Hause für seine schwer kranke 70 Jahre alte Frau. Auch die Nachbarn helfen bei Bedarf.

Hamburg. Er ist ihre Stütze. Im Treppenhaus, wenn sie sich zitternd Stufe für Stufe bis zur Wohnungstür im dritten Stock hinaufquält. Im Alltag, wenn sie durstig ist, aber das Glas nicht greifen kann. Er ist ihre Stütze. Im Leben, das Helga Scholz (70) allein nicht mehr leben kann. Weil sie ihre Hände nicht mehr spürt, weil die Beine sie nicht mehr tragen. Weil sie seit vier Jahren an einer "Corticobasalen Degeneration" leidet, wie die Mediziner sagen. Einer noch wenig erforschten Krankheit, die in ihren Symptomen an Parkinson erinnert. "Ohne meinen Mann Lothar würde ich es nicht schaffen", sagt die Barmbekerin leise. Für ihn ist es selbstverständlich, seine Frau zu Hause zu pflegen, so wie Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) es angesichts des Pflegenotstands kürzlich von Angehörigen und Nachbarn gefordert hatte.

Für den 81-jährigen Lothar Scholz ist es selbstverständlich, dass er seine Frau zur Toilette begleitet. Dass er darauf achtet, dass sie täglich ihre 15 verschiedenen Medikamente einnimmt. Dass er einkauft, jeden Mittag kocht und sie zum Arzt bringt. "Ich habe meine Frau 1978 aus Liebe geheiratet", sagt Lothar Scholz, während er neben seiner Frau auf dem cremefarbenen Ledersofa sitzt. "Und aus Liebe kümmere ich mich jetzt um sie." Würdevoll. Nie würde er sagen, dass er seine Frau füttert. "Ich reiche ihr das Essen. Das ist etwas anderes", sagt der Biologe, der bis zu seiner Pensionierung als Manager beim Technologiekonzern 3M gearbeitet hat.

Im Alter, habe er früher an stressigen Tagen gedacht, würden Helga und er endlich Zeit haben. Für Bücher, große Reisen und das gemeinsame Hobby, das Tanzen. Bis Helga Scholz vor vier Jahren beim Tango spürte, dass ihre Beine sich anfühlten, als würden sie gleich wegbrechen. Danach sei die Krankheit schnell fortgeschritten - bis zur Pflegestufe III, als 100-prozentig behindert und "schwerstpflegebedürftig" gilt Helga Scholz mittlerweile.

Jeden Morgen kommt eine Mitarbeiterin vom Pflegedienst des Diakonischen Werks in die Dreizimmerwohnung des Ehepaars Scholz. Sie duscht Helga Scholz, zieht sie an. Und entlastet damit Lothar Scholz ein bisschen.

"Meine größte Angst ist, dass ich selbst gesundheitlich nachlasse", sagt der 81-Jährige, der im vergangenen Jahr unter Herz-Rhythmus-Störungen litt. Er musste für zwei Tage ins Krankenhaus - und seine Helga in ein Wandsbeker Heim zur Kurzzeitpflege. "Das war gar nicht schön", sagt die ehemalige Sekretärin. "Immer neue Pfleger. Und das Bad war unsauber." Nein, sie möchte zu Hause sein, in ihrer gewohnten Umgebung, bei ihrem Mann.

"Das Schlimmste ist, wenn ich meine Frau allein lassen muss", sagt Lothar Scholz. Zum Beispiel, wenn er am späten Vormittag kurz den Einkauf erledigt. Jede Minute mache er sich im Supermarkt Sorgen. Dass seine Helga gestürzt sein könnte. Wie es allein im vergangenen Jahr fünfmal passiert ist. "Sie kann sich doch mit den Händen nicht aufstützen, stürzt immer gleich mit voller Wucht auf das Gesicht", sagt Lothar Scholz.

Vor ein paar Tagen wären sie fast beide zusammen hingefallen, im Treppenhaus. Doch die Nachbarn aus dem Erdgeschoss, eine palästinensische Familie, haben die Hilfeschreie gehört und sofort geholfen. "Diese Familie ist unglaublich nett, unterstützt uns, wie sie nur kann", sagt Lothar Scholz, der der Tochter der Familie im Gegenzug ab und zu Deutsch-Nachhilfe gibt. Die nachbarschaftliche Hilfe, die Senator Dietrich Wersich fordert, wird in diesem Barmbeker Mehrfamilienhaus schon gelebt. "Schon allein deshalb möchten wir hier nicht weg", sagt Lothar Scholz. "Obwohl eine Erdgeschosswohnung manches erleichtern würde." Einen Kursus für Angehörigenpflege, wie Hilfseinrichtungen und Krankenkassen ihn anbieten, hat er noch nicht besucht: "Das kann ich doch gar nicht. Wer soll sich denn in dieser Zeit um meine Frau kümmern?"

Helgas Tochter sei selbst krank, sein Sohn lebe in Berlin - und der einzige Enkel sei beruflich zu stark eingespannt. Heute bekommt Helga Scholz ein Gerät des Malteser Notrufs, das sie um den Hals tragen kann. "Das ist beruhigend - für uns beide", sagt ihr Mann. Sonst kämen sie aber gut zurecht, sagt Lothar Scholz. "Aber nur", sagt seine Frau und schaut ihn von der Seite an, "weil du meine große Stütze bist."