Das ambitionierte Projekt an der Elbe, vom Abendblatt mit seinem Neujahrsempfang für die Hamburger schon mal geöffnet, ist ein begehbares Kunstwerk. Manfred W. Jürgens hat dort fotografiert, Joachim Mischke berichtet von der Vision der Architekten.

Es waren große Worte, gelassen ausgesprochen. "Unser Bestreben ist es, etwas nie Gesehenes zu schaffen." Als der Basler Architekt Jacques Herzog im Februar 2005 im ersten Interview mit dem Hamburger Abendblatt über sein Projekt mit der Opuszahl 230 sprach, war es lediglich eine Vision. Die Bilder, die davon erzählten, waren nur formschön angeordnete Datenmengen auf irgendeiner Festplatte oder Farbe auf Papier. Außerdem gab es ein wohnzimmertaugliches Modell als Holz für den Kaispeicher A und Kunststoff für die verglaste Welle darüber, das bei der Presse-Präsentation des Projekts im Studio E der Laeiszhalle einen Ehrenplatz bekam.

Doch Herzog und sein Kollege Pierre de Meuron sollten recht behalten. Jetzt, fünf Jahre nach diesem Interview, lassen sich viele der Ideen für die Elbphilharmonie an ihrem Standort klar erkennen. Wenn man - wie beim Abendblatt-Neujahrsempfang am vergangenen Freitag - die Gelegenheit hat, mit eigenen Augen einen exklusiven Blick darauf zu werfen.

Einen ganz besonderen und sehr künstlerischen Einblick bieten Architektur-Stillleben des Hamburger Fotografen und Malers Manfred W. Jürgens, die der Baustellen-Atmosphäre und ihrem Rohstoff-Charakter etwas Künstlerisches verleihen. Obwohl Herzog mit dem überstrapazierten Begriff "Baukunst" eher wenig anfangen kann - das Gefühl, sich in einem begehbaren Kunstwerk und nicht nur in einem Gebäude zu befinden, drängt sich dem Besucher unwillkürlich auf. Schon die Spindel, auf der sich später die Autos der Konzertbesucher durch das Parkhaus bewegen werden, bleibt effektsicher gestylt im Gedächtnis, weil es schon hier um viel mehr geht als um das Einparken eines Fortbewegungsmittels. Der Große Saal wirkt schon jetzt, obwohl nur die Form zu erkennen ist, in der er später eingelassen wird, steil und impulsiv direkt. Er klingt vor, sein Eindruck hallt lang nach. "Die besten Architekturen können eine Wirkkraft haben, die mit Kunst vergleichbar ist", kommentierte Herzog, "nicht, weil sie wie Kunst ausschauen, sondern weil sie gnadenlos architektonisch sind."

Für ihren Neubau des De Young Museums in San Francisco haben die beiden perfektionistischen Schweizer kleine Sitzbänke für die Besucher entworfen. Es wäre nicht nötig gewesen. Normal ist das nicht, wenn so ziemlich jeder potenzieller Auftraggeber mit dem Wunsch nach einem zukünftigen Wahrzeichen mit weltweiter Ausstrahlung und Bildmacht vor der Tür steht. Aber es ist nur konsequent. Und genau diese Konsequenz im Kleinen sorgt für die unaufgeregte Klarheit des großen Ganzen. "Unsere Gebäudehüllen sind nur deshalb so verführerisch, weil sie vom Inneren des Gebäudes her begründet sind." Was wiederum heißt: Wer nicht genau definiert, was er mit einem so sichtbaren Gebäude bewerkstelligen will und kann, läuft gegen die Wand. Auch dazu hatte Herzog schon 2005 eine prophetische Erkenntnis parat: "Dieser Entwurf wird mit viel Begeisterung aufgenommen, auch weil er ein Beispiel dafür ist, dass Architektur eine politische Situation veränderte und zu einem kulturellen Barometer wurde."