Als Bundeskanzler Helmut Schmidt das Nadelöhr des Nordens öffnete: Vor 35 Jahren wurde die “mächtigste Unterwasserstraße der Welt“ für den Verkehr freigegeben.

Wenn man sich die alten Bilder ansieht, die schwarz-weißen aus den Zeitungen, dann sieht man, wie alt der Neue Elbtunnel schon ist: Genau 35 Jahre hat das einst spektakuläre Bauvorhaben auf dem Buckel, am 10. Januar 1975 rollten die ersten Autos durch die Elbunterführung. VW Käfer und Mercedes W 128, mit rauchenden Auspuffen. Und wenn Bilder Ton hätten, würden diese alten Aufnahmen knattern und röhren. Wobei gesagt werden muss, dass schon auf dieser Jungfernfahrt durch den Tunnel, der zwischen Othmarschen und Waltershof liegt, ein Zustand herrschte, der danach allzu vertraut werden sollte für Autofahrer: Es staute sich. Es staute sich sogar heftig. Am Tag der Freigabe hatten sich Zehntausende Hamburger auf den Weg gemacht, aber auch Lübecker, Hannoveraner und Neugierige aus dem Umland erfuhren sich das teure Milliardenstück an jenem fernen Freitag Mitte der 70er-Jahre. Diesmal noch standen sie freiwillig, danach verfluchten sie das Nadelöhr der Republik bisweilen heftig.

Es war eine Zeit, in der durchaus über das Autofahren nachgedacht wurde. 1973 hatte es die Ölkrise gegeben, die der westlichen Welt mit aller Deutlichkeit zeigte, dass sie von fossilen Brennstoffen abhängig ist. An der Wichtigkeit des neuen Tunnels änderte diese grundsätzliche Erfahrung nichts. Als Helmut Schmidt, damals seit etwas mehr als einem halben Jahr Bundeskanzler, mit einem feierlichen Hebeldruck den Tunnel zur Durchfahrt freigab, inspizierten die Massen euphorisch die gekachelten Röhren. Bereits im Dezember, als zwei Tunnelröhren für den Fußgängerverkehr geöffnet wurden, waren Hunderttausende durch das anspruchsvolle Bauwerk, von den Hamburgern damals stolz als "mächtigste Unterwasserstraße der Welt" wahrgenommen, spaziert.

Ihre Fantasie beschäftigt hatte das Riesenprojekt da schon viele Jahre. Denn am Neuen Elbtunnel wurde seit 1968 gebaut. Kein Wunder, denn es musste einiges geplant und getan werden, damit am Ende ein Bauwerk mit 3325 Metern Gesamtlänge stehen konnte. Oder besser liegen: Genau 1056 Meter schmiegen sich von unten an die Elbe. 2813 Meter sind geschlossene Tunnelstrecke. 28 Meter befindet sich der Tunnel unter der Wasseroberfläche - bei mittlerem Tidehochwasser. Die acht Elemente wiegen 46 000 Tonnen - jeweils. Die Elemente, je 132 Meter lang, 41,7 Meter breit und 8,4 Meter hoch, wurden in Stahlbeton im extra abgedämmten und leer gepumpten Maakenwerder Hafen gegossen. Es war ein gigantisches Unternehmen, die Elbe zu unterqueren. Die Feier zur Einweihung hatte sich Hamburg damals verdient. Es gab "Tunnelbier" und Erbsensuppe (für Schmidt sogar zweimal Nachschlag, wie mitzählende Chronisten zu berichten wussten), und der Kanzler erzählte Döntjes und Witze in breitem Hamburgisch. Gut gebräunt war er damals gerade vom Mallorca-Kurztrip in seine Heimatstadt zurückgekehrt, jetzt konnte er dem Hamburger Bürgermeister Hans-Ulrich Klose lauschen, wie der in wirtschaftspolitisch schwierigen Zeiten erst mal durchschnaufen konnte: "Dieser Tunnel ist für uns ein Stück Zuversicht und Optimismus, er ist ein Stück Hamburg."

Es war ein fröhliches Hupkonzert, was die damals enthusiasmierten Autofahrer im Elbtunnel gaben. Natürlich ging es auch darum, als Erster die famose Röhre zu durchqueren. Das schaffte ein 32 Jahre alter Motorradfahrer, so flott wird er danach nur noch selten durch den Neuen Elbtunnel gefahren sein. Die, die nach ihm kamen, mussten bereits warten. "Nehmen Sie die Elbbrücken", riefen pragmatische Polizisten angesichts nicht enden wollenden Stop-and-Go-Verkehrs. Vielleicht hat ja am Geburtstag des riesigen Stahlwurms bereits manch einer daran gezweifelt, mit dem Neuen Elbtunnel viel Spaß zu haben. Am nächsten Morgen freilich war die Welt für Hamburgs Berufspendler sehr in Ordnung. Der erste Werktag mit dem neuen Elbtunnel entlastete die Ost-West-Straße (heute Willy-Brandt- und Ludwig-Erhard-Straße) spürbar. Schnell gehörte der Elbtunnel zum Alltag. Mit 65 000 Autos pro Tag hatte man damals gerechnet. Es wurden schnell mehr. Deshalb wurde die Beziehung der meisten schnell zur Hassliebe. Durchschnittlich 122 000 Fahrzeuge quälen sich täglich durch den Tunnel, fünf Kilometer staut sich der Verkehr täglich. Letztlich konnte auch Trude nicht wirklich helfen - wir kennen sie noch ganz gut, sie war vor zehn Jahren schließlich die berühmteste Bohrmaschine der Stadt. Sie fräste sich zweieinhalb Kilometer durch die Unterwelt, um dem Elbtunnel eine vierte Röhre zu schenken. Gebracht hat's den Autofahrern nichts - weshalb es in den Planspielen von Verkehrspolitikern längst schon Träume von einem Neuesten Elbtunnel gibt.