Verboten war die Annahme nie - aber sehr verpönt. Senator Godeffroy trug 1878 einen Orden des Zaren - und verlor alle Titel.

Hamburg. Der eine heftet ihn sich freudig ans Revers, um's auf stolz geschwellter Brust glitzern zu lassen. Der andere nimmt dankend an, lagert das gute Stück jedoch daheim - zur persönlichen Erbauung. Wieder andere bezeichnen Orden als "Hundemarken" oder "flitterhaften Prunk" und lehnen den ganzen "Kokolores" rigoros ab. Gerade in Hamburg ist mit ausgezeichneten Ehrungen nur schwer Staat zu machen. Weil Hanseaten, so heißt es von jeher, keine Orden annehmen - oder annehmen dürfen.

Klingt irgendwie gut. Stolz und erhaben, frei und unabhängig. Und ganz im Sinne des bürgerlichen Geistes unserer Verfassung: "Es gibt über dir keinen Herrn und unter dir keinen Knecht." Es entspricht traditionell geübter Praxis, dass die Annahme von Adelsprädikaten und Orden bei Bürgermeistern, Senatoren, Bürgerschaftsabgeordneten und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes zumindest verpönt ist. Sagt man so. Ist in der Regel auch so.

Aber ist es auch richtig so? Jüngst wurden immer mehr Stimmen laut, dass die angeblich "schon immer" verbriefte Verpflichtung einer Verweigerung de jure gar nicht existent ist: Entgegen allen Behauptungen enthält das Hamburger Stadtrecht von 1270 kein ausdrückliches Verbot. Auf diese Tatsache hingewiesen hat der frühere Innenstaatsrat Dirk Reimers. In einer launigen Rede mit viel Augenzwinkern anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstordens an ihn am 18. November im Turmzimmer des Rathauses brachte der gebürtige Holsteiner Reimers seine Erkenntnis so auf den Punkt: "Es ist eine Legende, dass Hamburger keine Orden annehmen dürfen."

Weder im Stadtrecht von 1270 noch in einer der späteren Verfassungen habe es je ein explizites Ordensverbot gegeben. "Im Oktober 1865 lehnte die Hamburgische Bürgerschaft sogar den auf ein solches Verbot gerichteten Antrag ausdrücklich ab", sagte Reimers. "Noch nicht einmal die Forderung, zumindest den Mitgliedern von Senat, Bürgerschaft und Gerichten Orden zu verbieten, fand eine Mehrheit." Nicht nur Bürgermeister Ole von Beust, sondern auch sein Vorvorgänger Henning Voscherau hörten interessiert zu.

Die Diskussion über Akzeptanz oder Ablehnung der Ordensverleihung ebbt dadurch keineswegs ab. Im Gegenteil: Letztlich zählt die Debatte darüber zum guten Ton in der Stadt. Traditionell. Köstliche Anekdoten bereichern das hanseatische Leben.

Für den Senat wurde das Problem hochoffizieller Dekorierung verdienter Persönlichkeiten erstmals 1840 akut. Wie die Autorin Renate Hauschild-Thiessen in ihrem Buch "Bürgerstolz & Kaisertreue" genüsslich belegt, ließ ein türkischer Sultan dem Hamburger Syndikus Karl Sieveking den berühmten Nichan-Iftichar-Orden übersenden - als Dank für dessen Bemühungen um den Abschluss eines Handelsvertrags. Sieveking, ganz Ehrenmann, zeigte dies dem Senat auf dessen Sitzung am 29. Juli 1840 an. Parallel verlas er ein Schreiben an den türkischen Minister Rechid Pascha. Darin wurde der Empfang der Ehrung mit großem Dank quittiert, allerdings "sey die Annahme des Ordens der hiesigen Verfassung zufolge nicht thunlich". Konsequenz des Syndikus: Er übergab dem Senat das Geschenk. Dieser verfügte sodann "die Asservierung desselben auf seinen Archiven".

Allerdings nach Art hanseatischer Pfeffersäcke. Wie gut, dass der ehrwürdige Sultan nicht ahnte, dass nur die leere Fassung des Nichan-Iftichar-Ordens in der Schatzkammer eingelagert wurde. Praktisch veranlagt, ließen die Hamburger die Edelsteine herausbrechen, um sie zu versilbern. Pekunia non olet. Der Erlös in Höhe von 560 Mark floss der Senats-Witwen-Kasse zu. Dass diese pragmatische Entscheidung von oben befürwortet wurde, erwies sich im Mai 1842: Beim Großen Hamburger Brand fiel das gesamte Archiv der Feuersbrunst zum Opfer. Segensreich, dass die Sultansbrillanten "gerettet" worden waren.

Fortan prallten unterschiedliche Meinungen aufeinander, und jeder fühlte sich absolut im Recht. So wagte es der Senator Gustav Godeffroy anno 1878, einen Orden des russischen Zaren an seinen Frack zu heften. Die Aufregung schlug hohe Wellen. Auf Verlangen, das Prunkstück abzugeben, reagierte Hanseat Godeffroy hoch erhobenen Hauptes, beseelt von Sturheit und Stolz: "Nein, meine Herren, und nochmals nein!" Er verlor sämtliche Titel und Vorrechte. Zudem beschloss der Senat, den Namen Godeffroy im Staatshandbuch zu streichen. Harter Tobak.

Ganz anders sah Bürgermeister Johann Heinrich Burchard die Dinge. Als zwölf deutsche Bundesfürsten 1908 auf Schloss Schönbrunn bei Wien Kaiser Franz Joseph I. anlässlich dessen Thronjubiläums würdigten, traten elf Bundesfürsten in Paradeuniform an - mit formidablem Ordensgepränge. Nur Hamburgs Primus inter pares, ursprünglich aus Bremer Familie stammend, präsentierte sich bürgerlich pur. Burchard erschien, wie es sich daheim gehörte, im schwarzen Talar mit Halskrause und ohne jedes Ehrenzeichen. Hamburger Chronisten würdigten damals die "fabelhafte Figur" des Bürgermeisters und bezeichneten die hoch dekorierten Fürsten als "Papageien".

Hamburgs einziger je verliehener Orden - das Hanseatenkreuz - wurde zwischen 1915 und 1920 für Einsatz im Ersten Weltkrieg geprägt, und zwar im Verbund mit den anderen selbstständigen Hansestädten Bremen und Lübeck. Das war's dann aber auch. Nicht unter die Rubrik Orden fallen diverse Medaillen, die bis heute von der Stadt nach Senatsbeschluss an verdiente Persönlichkeiten vergeben werden. Beispiele sind die Bürgermeister-Stolten-Medaille aus Bronze, die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes, die Alfred-Toepfer-Medaille, der Staatspreis der Freien und Hansestadt Hamburg, die Hamburgische Ehrengedenkmünze oder die Max-Schmeling-Medaille.

Mancher nimmt, mancher lehnt ab. Helmut Schmidt hatte eine differenzierte Einstellung. Als Bundesverteidigungsminister nahm er 1971 den Karnevals-"Orden wider den tierischen Ernst" an, drei Jahre später als SPD-Fraktionschef im Bundestag wies er das "Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband" der Bundesrepublik zurück. Als Bundeskanzler nahm er später eine Ehrenbezeugung an - allerdings aus dem Ausland.

Schmidt ist in allerbester Gesellschaft. Nach seiner Amtszeit als Bürgermeister akzeptierte Hans-Ulrich Klose den hohen französischen Orden "Kommandeur der Ehrenlegion". Auch Gerd Bucerius, Klaus von Dohnanyi, Ida Ehre, Rolf Liebermann, Karl Schiller, Herbert Wehner, Max Schmeling oder Uwe Seeler sind namhafte Hamburger, die Auszeichnungen entgegennahmen - und gerne dazu standen.

Im Hamburger Lexikon heißt es dazu: "Wie sehr die Annahme von Orden ... selbst durch hohe Stadtstaatsbeamte geschätzt wurde, zeigen Aberhunderte von Vorgängen in der Überlieferung des Senats beziehungsweise der Senatskommission."

Der vielfach mit Edelmetall geehrte Albert Ballin bezeichnete Orden zwar als "Spielzeug für große Kinder", ließ sich aber dennoch Besonderes anstecken. Und Hamburgs Ehrenbürger Johannes Brahms befand: "Ich bin entschieden gegen Orden - aber haben möchte ich sie."