Haben Sie auch in der Silvesternacht auf den Sekundenzeiger einer Uhr gesehen, um passgenau das neue Jahr zu begrüßen? Vielleicht haben Sie eine Quarzuhr, präzise funkgesteuert, oder ein mechanisches Uhrwerk, durch eine Feder in Spannung gehalten - oder gar eine gediegene Standuhr mit schwingender Kugel und Kette?

Die interessanteste Uhr habe ich bei einem Freund gesehen: eine große Holzapparatur mit Kugeln. Ein paar Bilder davon habe ich noch ungefähr vor Augen: Die Kugeln rollen in Holzrinnen, die irgendwann umkippen, an etwas anstoßen, Holzzahnräder weiterdrehen, bis sie auf einer Wippe durch eine schwerere Kugel wieder hochgehoben werden, die selber dadurch allerdings ein kleines Stück absinkt ... All das geschieht mechanisch durch das Gewicht der Kugeln oben, bis nach 24 Stunden alles vorbei ist und alle Kugeln unten liegen.

"Was soll das Ungetüm?", frage ich. "Meine Zeitmaschine", sagt der Freund, der Philosophieprofessor ist, "ab und zu betrachte ich die Zeit ..."

Da kann man tatsächlich einiges beobachten. Zum Beispiel, wie eine Zeitkugel nach der anderen auf einen zukommt. Da läuft die Zeit nicht unbemerkt nur nebenher, man nimmt mit Staunen und Dankbarkeit wahr, dass immer wieder eine neue Kugel kommt: geschenkte Zeit - Stunde für Stunde, Tag für Tag.

Oder: wie gleichmäßig die Kugeln angerollt kommen, ob es einem passt oder nicht.

Mal möchte man länger gucken, aber sie ist schon vorbeigerollt; mal ist es, als müsse man warten, bis die nächste Kugel kommt. Es ist wie mit der Zeit selbst: Mal fehlt sie einem, mal hat man zu viel davon und würde am liebsten etwas aufbewahren. Aber: Wir können die Zeit nur in dem Moment verwenden, in dem wir sie bekommen. Sonst verstreicht sie ungenutzt.

Zum Schluss fällt mein Blick auf den Kugelvorrat oben: Die Zeit ist begrenzt. Das macht Angst. Aber es gibt dem Ganzen auch Ernst und Gewicht. Wenn man aus dem Gefühl lebte, es ginge immer so weiter, man hätte immer reichlich Zeit, dann würde der Zeitlauf wohl bald zu einem belanglosen Plätschern werden. Gerade die Begrenzung der Zeit macht sie kostbar und hilft uns, ihr Gestalt zu geben - der Zeit, die uns Gott im beginnenden Jahr wieder anvertraut.

PfarrerMies@mariagruen.de