Unglückliche Umstände führten vor mehr als 300 Jahren dazu, dass der Mönch Dom Pierre Pérignon den Champagner erfand.

Der Weg zu den Sternen führt erst einmal steil hinab. Auf ausgetretenen Stufen geht es tiefer und tiefer in eine geheimnisvolle Unterwelt. Mit jedem Schritt verdichten sich die Aromen von Moos und Kalkstein, leichter Säure und junger Frische zu einem unvergleichlichen Odeur. Unten erstreckt sich ein unüberschaubares Labyrinth aus Kellern und Gewölben, die vor Jahrhunderten tief in die Kreidefelsen getrieben wurden. Entlang der Gänge türmen sich staubbedeckte Flaschen auf dunklen Eichenbrettern. Millionen sollen es sein. Nur spärlich beleuchtet sind die Gänge, und irgendwie sehen alle gleich aus. Allein rätselhafte Zahlen an den Wänden weisen den Weg - jedenfalls den Eingeweihten. Wer sie nicht deuten kann, verirrt sich leicht. Verdursten wird er nicht.

Wir sind in der Schatzkammer von Dom Pérignon, der "Wiege des Champagners", tief unter dem beschaulichen französischen Ort Épernay. Auf 28 Kilometer Länge lagern hier Moët & Chandon und Dom Pérignon, die zum Luxusimperium Moët Hennessy Louis Vitton (LVMH) gehören, bei zehn bis zwölf Grad Celsius ihre besten Tropfen. Aber das Allerheiligste kommt erst noch. Ein altes Eisentor, das sich gespenstisch knarrend und quietschend öffnet, gibt den Weg frei in einen Gang, der an eine Kathedrale erinnert. Und am Ende thront wie auf einem Altar eine Methusalem-Flasche. Sie enthält sechs Liter Champagner, achtmal so viel wie eine handelsübliche.

Zu diesem Ort, der Önothek, haben "Normalsterbliche" keinen Zutritt. Hier scheint die Zeit stillzustehen. Die älteste Flasche in diesem Gewölbe stammt von 1921. Für Richard Geoffroy, seit 1990 der Kellermeister von Dom Pérignon, sind die alten Weine so etwas wie ein Archiv. Immer mal wieder entnimmt er eine Probe daraus, verkostet sie und prüft die Entwicklung.

"Champagner verändert sich ständig. Immer wenn man ihn verkostet, schmeckt er anders. Er entwickelt sich auch noch in der Flasche", sagt Geoffroy. Er hält sein Glas erst nachdenklich in die Höhe, um die Farbe zu prüfen, dann riecht er daran, schließlich nimmt er einen Schluck. Beim Jahrgang 1971 schwärmt er am meisten: "Er ist sehr ausdrucksstark, schmeckt leicht geröstet und nach Holz."

Dann führt Geoffroy seine Besucher wieder hinaus und hinauf auf die Avenue de Champagne in Épernay, an der die berühmtesten Champagner-Häuser in ihren Steinpalästen residieren, weiter bergan. Ein paar Kilometer sind es zu Herrn Dom Pérignon nach Hautvillers, dorthin, wo alles begann: in der Benediktiner-Abtei, deren Kellermeister Dom Pierre Pérignon einst war.

Was an der Geschichte des Champagners Wahrheit und Legende ist, lässt sich nach 300 Jahren naturgemäß nicht immer auseinanderhalten. Spannend ist beides allemal. So verdankt die Welt dieses edle Getränk wohl einem Unglückfall. Als Dom Pérignon 1668 Kellermeister wurde, trank man noch stille Weine. Doch eines Tages, es muss um das Jahr 1700 gewesen sein, explodierten im Keller des Mönchs plötzlich Flaschen. Er hatte den Vorgang der Gärung nicht zu Ende gebracht, bevor er die Flaschen abfüllte. Als er von dem sprudelnden Wein kostete, blickte er zum Himmel und rief verzückt: "Brüder, kommt geschwind. Ich trinke Sterne!"

Fortan perfektionierte er die Champagnerherstellung, schnitzte aus Korkeiche, die er durchreisenden spanischen Mönchen abkaufte, die ersten Champagnerkorken und entwickelte Flaschen mit einem konkav gewölbten Boden, damit sie dem Kohlensäuredruck besser standhielten. Was allerdings nicht verhinderte, dass auch weiterhin Flaschen explodierten, sodass die Brüder, welche in den Kellern arbeiteten, zum Schutz ihrer Augen vor Splittern eiserne Masken trugen. Wohl deshalb nannte man den Champagner seinerzeit auch "Teufelswein".

Die Abtei liegt majestätisch auf einem Hügel. Vom Klostergarten mit alten Weinreben und Rosen hat man einen Blick über die Weinberge der Region, in denen schon in den Zeiten der Römer Wein angebaut wurde.

Im Refektorium im ersten Stock, in das man über eine schmale Holztreppe gelangt, riecht es schon nach den typischen Champagneraromen, nach Toast, Zitronen, Gewürzen, Blumenwiesen und Meer. Der 30 Meter lange Raum mit beigen Wänden, Holzdielen und einem langen Tisch in der Mitte wirkt klösterlich. Hier dürfen nur geladene Gäste die erlesenen Weine probieren. Kellermeister Geoffroy kommt eilig die Treppe hinaufgelaufen. Er scheint immer in Bewegung zu sein, trotz seines strengen grauen Anzugs und der glatt zurückgekämmten blonden Haare wirkt er jugendlich.

Neben dem aktuellen Champagnerjahrgang 2000 mit dem Aroma von weißen Pfirsichen und würzigen Ingwernoten serviert Geoffroy historische Tropfen. Man merkt ihm an, dass er sie selbst mit Neugier probiert. Champagner ist für Geoffroy ein Kunstwerk. Aber was ist das Besondere daran? "Der mineralische Geschmack, die Mischung des Weins und die Tatsache, dass er nur aus den erlesensten Lagen der Champagne zusammengesetzt wird." Die perfekte Mischung von weißen Chardonnay-Trauben und dem roten Pinot Noir sorge für die "perfekte Balance von Zerbrechlichkeit und Stärke", für Vollmundigkeit, Frische und Seidigkeit. Geoffroy testet dafür mit seinen Kollegen rund 100 verschiedene Weine, aus diesen werden dann etwa 30 ausgesucht, um den Champagner zu mischen. Die genaue Zusammensetzung bleibt allerdings das bestgehütete Geheimnis jedes Kellermeisters.

Dom Pérignon existiert ausschließlich als Jahrgangsweinen, von denen nur sechs oder sieben in einem Jahrzehnt für würdig genug befunden werden. Aus den anderen Jahren gibt es dann eben keinen Dom Pérignon. Dieser Luxus ist für das Champagner-Haus eine kostspielige Entscheidung. Doch Geoffroy ist überzeugt: "Man muss seinen Instinkten trauen, wie immer im Leben."

Geoffroy verlässt sich ganz auf seinen Instinkt, schließlich stammt er aus einer alten Winzerfamilie in der Champagne. Zwar rebellierte er anfangs gegen seine vererbte Bestimmung und studierte stattdessen Medizin. Doch am Tag, an dem er 1982 seinen Doktortitel bekam, bekannte er sich doch zu seinen Wurzeln, begann eine Weinausbildung in Reims, lernte im kalifornischen Napa Valley und bei Moët & Chandon. Heute nennt sich Geoffroy scherzhaft "Dr. Feelgood", weil er mit seinem Champagner für Wohlbefinden sorge.

Das war bereits seinen frühen Vorgängern gelungen. Schon Dom Pierre Pérignon hatte den "Sonnenkönig" Ludwig XIV. für den perlenden Wein aus Épernay begeistern können. Es sind eben nicht allein rationale Kriterien wie Inhalt und Geschmack, die seit Jahrhunderten jene, die es sich leisten können, nach dem Glas mit den "Sternen" greifen lassen. Es war immer auch der Mythos, der Glücksgefühle steigern oder Trauer vertreiben half. Danton soll seinen Champagner zur Guillotine mitgenommen haben. Und Napoleon, eigentlich Abstinenzler, trank ihn nach Siegen - und nach Niederlagen.

Ähnlich erging es viel später Coco Chanel, die der Ansicht war, sie brauche Champagner, wenn sie verliebt sei. Und wenn nicht, dann erst recht. Marilyn Monroe soll sogar darin gebadet haben. Designer Christian Dior leistete sich den Luxus, mit Dom Pérignon zu kochen. Auch Marlene Dietrich, Audrey Hepburn und Andy Warhol waren passionierte Champagner-Genießer. Und Designer Karl Lagerfeld, der meistens Cola Light trinkt und sich als nur "visueller Champagnerkonsument" bezeichnet, macht die Werbekampagnen für Dom Pérignon, für die auch Topmodel Claudia Schiffer vor der Kamera stand. "Er ist ein Perfektionist wie ich", sagt Kellermeister Geoffroy über Lagerfeld.

Und zur Perfektion neigte von Berufs wegen auch schon Madame Pompadour, die Mätresse König Ludwigs XV. Von ihr wurde die schwärmerische Erkenntnis überliefert: "Champagner ist der einzige Wein, der eine Frau auch nach dem Trinken noch schön aussehen lässt."

Wenn das stimmt, dann haben in der Geschichte wohl nur wenige Unglücksfälle einen so guten Ausgang genommen wie die Flaschen-Explosionen in den Gewölben von Épernay.