Das Programm ist volle Dröhnung. Und Musik gibt's auch dazu. Aber vor allem “Bölkstoff“ fließt in Strömen.

Hamburg. "Bier! Bi-hiiiier! Hier gibt es Bier!", brüllt ein Mann vor dem Kiosk an der U-Bahn-Haltestelle Lattenkamp in sein Megafon. Warum tut er das? Denn selbst wenn Torfrock-Fans schon ihrem Namen oder ihrer Muttersprache verlustig sind: Wo es "Bölkstoff" gibt, das spüren sie. Und daher zieht es sie instinktiv wie ein Löwenrudel zur Wasserstelle in die Alsterdorfer Sporthalle, eine breite Spur Flaschen, Dosen, Kleidungsstücke, Mageninhalte und durch Klingelstreiche verärgerte Anwohner hinter sich lassend. Die Alsterdorfer Eingeborenen können einem wirklich leid tun: Erst bambulierten eine Woche zuvor die Anhänger von Deichkind durch die Straßen und nun "Oooodiiiin"-grölende Bagaluten. Wir ziehen mit dem Heer der Plastikhelm-Wikinger und fragen uns, ob Torfrocks jährliche "Bagalutenwiehnacht" zum 20. Jubiläum auch ohne Ströme von Pilsener Braukunst funktionieren würde. Wohl kaum. Das ist zwar schade, weil einem kollektive Besoffenheit in dieser Penetranz schwer auf den Zeiger gehen kann, aber es hat auch seine Vorteile. Statt wie üblich bei Sporthallen-Konzerten ewig auf ein Getränk warten zu müssen, wird bei Torfrock mit zusätzlichen Bierständen und ungezählten diensteifrigen Rucksack-Zapfern gewiss keiner verdursten. Beim Konzert der Foo Fighters war einst schon nach einer halben Stunde das Bier alle, hier ist aus purem Selbstschutz genug Vorrat angelegt, um auch den letzten praktischen Liter-Bottich zu füllen.

Und so sind bereits vor Konzertbeginn die ersten gefallenen Wikinger zu beklagen, aber der Großteil der nahezu komplett behelmten (Alternative: blinkende Weihnachtsmütze) Schar "Odin statt Jesus"-Shirt-Träger hält sich so wacker wie die anwesenden Fotografen. Bis auf den unerschrockenen Foto-Grabenkämpfer Stefan Malzkorn steht die Bildpresse in Regenjacken in der ersten Reihe wie das Reh vor der Flinte. 20.30 Uhr, Sänger Klaus Büchner, Brummel-Klampfer Raymond Voß, Schlagzeuger Marc-Oliver Steinwede und Basser Volker Schmidt beginnen mit dem Holstein-Hendrix-Oldie "He Jo", die Liter-Bottiche prasseln halb gefüllt in den Graben, in die Hallenmitte, in die Ränge. Büchner: "Vielen, vielen Dangge!" 7000 Bagaluten: "Vielen, vielen Bidde!"

"Rut mit'n Torf" erinnert an den Matsch aus Schnee, Schlamm und Bier im Hallen-Umlauf, "Der Boxer" treibt "Die Wildsau" durch das Dorf Torfmoorholm, es wird edel gezecht, wild gekreiselt, dem "Trunkenbold" gehuldigt. Und die Becher fliegen, ein Streifschuss verschmiert unsere Notizen, wir feuern - pfeif auf das Pfand - zurück.

"Beinhart" wird weiter gekesselt. Wir stellen fest, dass die vorderen 30 Reihen bei der ersten Bagalutenwiehnacht gerade geboren worden sein dürften und sich trotzdem vor allem auf die Hits der 70er wie "Rollo der Wikinger" und "Volle Granate, Renate" freuen, während neues Material ("Nachtschweiß") ignoriert wird. "Vielen Dangge Dangge!" - "Vielen Bidde Bidde!"

Zum Schluss pieselt das Reh wieder Spuren in den Schnee, ein geradezu romantisches Bild im Vergleich mit den Zuständen auf den WCs (Land unter ...) und nach zwei Stunden und einem finalen "Let's Wörk Togesser" mit der Vorband De Drandüwels ist auch die 20. Schlacht geschlagen. "Vielen Bidde Dangge!" - "Vielen Dangge Bidde".

Der Abzug der Wikinger walzt zurück zum Lattenkamp. Sah man auf dem Hinweg noch Einzelgänger, so geht der Torfrock-Fan nun oft im Dreierpack. Immer zwei Mann stützen den Schwächsten in der Mitte, kein Mann wird zurückgelassen. Pfandgut-Sammler ächzen unter ihrer Last, arglose Bahnpassagiere stöhnen im Biernebel, schwergewichtige Walküren lassen die Bahn im Takt ihrer Oberweite wippen. So war es auch schon letztes Jahr. So wird es auch im kommenden Jahr.

"Bidde, vielen Dangge!" - "Dangge, vielen Bidde!"