Glasklarer Fall von Planungspanne: Genehmigung zum Aufhängen der einzigartigen Konstruktion fehlt.

Manchmal ist die Erde wohl doch eine Scheibe. Hoch über Hamburg, im 9. Stock der Elbphilharmonie, fand jetzt eine Weltpremiere statt: Auf einer Aussichtsplattform wurden die ersten drei gigantischen Fensterelemente des neuen Hamburger Wahrzeichens enthüllt. Allesamt weltweite Unikate, allesamt unterschiedlich gebogen und bedruckt. Lass Glas drüber wachsen - so könnte man die Bauphase betiteln, die nun in 40 Meter Höhe mit der aufwendigen Montage der Scheiben beginnen soll. Und an deren Ende die Fertigstellung der einzigartigen 21 500 Quadratmeter großen Glasfassade stehen wird.

Das Problem jedoch: Zurzeit weiß niemand, wann mit den Arbeiten, die ursprünglich für Anfang Dezember terminiert waren, losgelegt werden kann. Denn es fehlt schlicht und einfach der Stempel vom TÜV für diesen spektakulären Kraftakt.

Sie müssen eine ganze Menge aushalten, die Glaselemente, die vor zwei Tagen aus Bayern in Hamburg eingetroffen sind. Genauer aus Gundelfingen, einer 6000-Seelen-Gemeinde, in der die Firma Josef Gartner die insgesamt 1089 Fassadenstücke herstellt. Von einem Flugzeugbauer wurden Windböen bis zu 220 Kilometern pro Stunde simuliert, es hagelte Regenmassen von 3,4 Liter pro Minute und Quadratmeter, ein Wechselbad der Temperaturen wurde in einer Kältekammer erprobt sowie heftigste Zusammenstöße per 50-Kilo-Zwillingsreifen erzeugt - und erst, als bei den unzähligen Tests vor Ort alle Wetterwidrigkeiten an den Fenstern buchstäblich abprallten, stand fest: Diese Scheiben sind ein Hit.

"Sie sind 3,50 Meter hoch und fünf Meter breit, die größten sogar fünf mal fünf Meter", sagt Stephan Deußer, Oberbauleiter von der ausführenden Baufirma Hochtief. Die schwersten Glaselemente wiegen 1,8 Tonnen, und um sie an den richtigen Stellen zu montieren, haben sich die Fassadenbauer aus Bayern, die weltweit tätig sind (siehe Infokasten), etwas ganz Besonderes einfallen lassen: eine sogenannte Monorail, eine Art Gardinenstange aus Stahl, die momentan im 13. Stockwerk einmal rund um das Bauwerk herum läuft. Über diese einzigartige Konstruktion sollen die an dicken Seilen schwebenden Glasmonster dann in die auf den einzelnen Etagenböden vorgefertigten Stahlelemente eingehakt werden. So weit, so gut. Der - eigentliche - Haken bei der Sache ist nun aber: Die bereits montierte "Monorail" ist noch nicht vom TÜV abgenommen worden - und nach Abendblatt-Informationen stockt die Sache deshalb, weil nicht geklärt ist, wer dafür zuständig ist.

"Diese Abnahme muss durch einen Techniker der Firma geschehen, die mit dem Unternehmen Gartner zusammen die 'Monorail' hergestellt hat", sagt Deußer. Was im Grunde ja auch Sinn machen würde, weil dieser Experte natürlich am besten beurteilen könnte, ob die "Monorail" auch alle Sicherheitskriterien für ein derart einzigartiges Bau-Spiel erfüllt. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ein solch tonnenschweres Glas-Element aus 40 Meter Höhe in die Tiefe saust.

Karl Lindenmaier, zuständiger Projektleiter des Fassadenbauers, sagte jedoch am Freitag dem Abendblatt: "Hier stehen 270 Fensterelemente fertig zum Abholen bereit. Wir warten jetzt auf den Startschuss von Hochtief."

Es scheint nämlich so zu sein, dass die Geister sich genau an der Obergrenze der Betonböden scheiden. Es geht wohl, genauer gesagt, um den Kraftfluss im Beton - und um die Kräfte in dem von Gartner gelieferten Element. Vergleichbar ist das Verhalten von Gartner vielleicht mit einem Autobauer, der seinem Kunden ein neues Fahrzeug liefert und sich dagegen wehrt, bei der Abgabe auch noch die Tragfähigkeit der Straße garantieren zu müssen. In Bayern scheint man der Meinung zu sein, dass für die Kraftableitung im Beton, also im Rohbau, das Unternehmen Hochtief zuständig ist.

Die Fragen aber, die die Hamburger am meisten interessieren dürften, lauten: Wann geht es weiter? Und wann hängt das erste gläserne Fassadenelement, das aus jeweils zwei Isolierglaselementen besteht und dessen Kosten im unteren fünfstelligen Euro-Bereich liegen, für alle sichtbar im 9. Stock an der Nordost-Ecke der Elbphilharmonie? Nina Siepmann, Pressesprecherin der städtischen Realisierungsprojektgesellschaft ReGe, sagt: "Wir hoffen, dass die Arbeiten in der nächsten Woche beginnen können, haben aber von Hochtief noch keinen Termin bekommen." Stephan Deußer hofft auf einen Beginn der Montagearbeiten "im Dezember".

Gut möglich, dass bei diesem Drahtseilakt am Ende die ReGe entscheiden muss, wer wirklich für die Prüfstatik zuständig ist.