Die alte Dame galt als “Messie“ und wohnte jahrzehntelang in dem verwahrlosten Haus. Jetzt greift gesetzlicher Betreuer ein.

Hamburg. Der Vorgarten des Backsteinhauses in einer kleinen Seitenstraße in Groß Borstel ist verwildert. Hinter dem Gebäude ist alles voll gestellt: mit Holzlatten, Müllsäcken, Eimern und Blumentöpfen. Aus Folien und Decken ist hier eine Art Lager entstanden. Weiteres Gerümpel türmt sich hinter dem verdreckten Fenster im Erdgeschoss auf.

Doch das ist noch nicht alles: In der ersten Etage ist im Fensterspalt eine tote Ratte zu sehen. Fassungslos schaut Nachbar Christian Freier über den Zaun und sagt: "Seit Jahren sammelt unsere Nachbarin Müll, Gerümpel und alte Lebensmittel.

Die alte Dame und ihr Haus sind immer mehr verkommen, alles deutete auf das "Messie-Syndrom", aber die Behörden haben nichts unternommen." Unter Messie-Syndrom versteht man eine krankhafte Sammelleidenschaft, die zu einer regelrechten Vermüllung von Wohnungen führen kann.

Seit zehn Jahren lebt der Lehrer mit seiner Familie nebenan. Er hat sich nach eigenen Angaben immer wieder an den Sozialpsychiatrischen Dienst im Bezirk Nord sowie an den gesetzlich bestellten Betreuer gewandt und um Hilfe für die Nachbarin gebeten: "Aber es wurde nicht gehandelt. Selbst, nachdem es 2002 in dem Haus gebrannt hat, blieb alles beim Alten", sagt Freier. Seine Nachbarin Ilse H. sei sich weitgehend selbst überlassen worden. Inzwischen hat sich das geändert.

Die Haustür, aus der moderiger Geruch dringt, ist von der Polizei versiegelt worden. Denn Ilse H. hat Ende September einen Schlaganfall erlitten, ist seitdem im Krankenhaus. Als die 85-Jährige eingeliefert wurde, kam auch die Polizei. Die Beamten notieren später in ihrem Bericht, dass das Haus in einem desolaten Zustand ist und dass in dem Gebäude jede Menge Müll liegt. "Es war auch ein Sohn von Ilse H. anwesend. Aber er machte den Eindruck, dass ihn die gesamte Situation überfordert. Deshalb wurde das Haus auch versiegelt", sagt ein Polizeisprecher.

Dass Ilse H. unter dem Messie-Syndrom leidet, ist in der gesamten Nachbarschaft bekannt. Eine ältere Dame, die bis vor einigen Jahren direkt neben H. wohnte und einen Krämerladen betrieb, berichtet: "Dass da Ratten über das Grundstück laufen und dass Frau H. Müll und Essensreste sammelt, ist schon seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Ärgernis." Eine andere Nachbarin sagt schockiert: "Es ist ein Unding, dass die Behörden nicht eingeschritten sind." Doch was hätten die Behörden tun können? "Die ältere Dame und ihre Situation sind uns bekannt. Die Mitarbeiter unseres Sozialpsychiatrischen Dienstes haben ihr Hilfe angeboten, aber sie wollte so weiterleben", sagt Helga Heidbüchel-Braatz, Sozialdezernentin in Hamburg-Nord.

In dem Haus voller Müll sei auch schon einmal eine Ratte über die Fensterbank in der Küche gelaufen, berichtet Nachbar Christian Freier. Für Heidbüchel-Braatz steht jedoch fest: "Es gab keine Versäumnisse von unserer Seite. Außerdem hat Frau H. einen gesetzlich bestellten Betreuer, der ihre Angelegenheiten regelt." Das Amtsgericht Mitte hat bereits vor acht Jahren verfügt, dass Ilse H. einen Betreuer erhält.

Seit November 2003 hat Mario Schröder (Name geändert) diese Aufgabe inne: "Ich vertrete Frau H. in Vermögensangelegenheiten und gegenüber Behörden. Aber ich hatte nicht die Befugnis, über ihren Aufenthaltsort zu bestimmen." Die "Zusammenarbeit" mit Ilse H. sei fast unmöglich gewesen: "Selbst mich hat sie manchmal nicht ins Haus gelassen und ist mir gegenüber sogar einmal handgreiflich geworden."

Eine "so schwierige Betreute" habe er in seiner zehnjährigen Tätigkeit nur selten erlebt. Dass Ilse H. recht eigenwillig ist, zeigt ein weiteres Beispiel: Als die Fassade an ihrem Haus bröckelte und das Bezirksamt eine Sanierung anordnete, beauftragte Betreuer Schröder im Rahmen seiner Befugnisse gegen den Willen von Ilse H. eine Firma mit der Ausbesserung. Zunächst soll Ilse H. mit allen Mitteln versucht haben, die Bauarbeiter von der Arbeit abzuhalten. Schließlich hat sie sogar die Polizei gerufen: "Wir mussten einen günstigen Zeitpunkt abwarten, als die Dame nicht im Haus war, um mit den Arbeiten überhaupt beginnen zu können."

Auch der zuständige Richter beim Amtsgericht Mitte, der als sehr erfahren gilt, hat gemeinsam mit Mario Schröder die alte Dame besucht. Doch auch ihnen wurde der Eintritt verwehrt. In Behördenkreisen heißt es, dass Ilse H. unter einer Persönlichkeitsstörung leide.

Aber einen Grund, sie aus dem vermüllten Haus zu holen, sahen weder der Richter noch Mario Schröder: "Der Richter und ich haben es aufgrund ihres fortgeschrittenen Lebensalters für sinnvoller gehalten, dass wir Ilse H. dabei unterstützen, ihr Haus zu erhalten", sagt Schröder. Auch wenn er einräumt, die Situation sei "schon grenzwertig gewesen". Aber das Haus sei das Lebenselixier der alten Dame.

Zu dem Fall Ilse H. wollte sich Gerichtssprecher Conrad Müller-Horn aus Datenschutzgründen nicht äußern. Aber allgemein gelte: "Sofern ein gesetzlicher Betreuer den Eindruck hat, dass die Situation unhaltbar wird und eine Ausweitung seiner Kompetenz erforderlich ist, ist er verpflichtet, dies dem Betreuungsgericht mitzuteilen. Dort wird dann über eine Erweiterung des Aufgabenkreises entschieden." Dazu könne beispielsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht zählen.

Aber wie geht es jetzt mit Ilse H., die noch im Krankenhaus liegt, weiter? Nach dem Schlaganfall hat Betreuer Schröder bei Gericht auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragt und erhalten. Die alte Dame soll nun in ein Pflegeheim. Eine Rückkehr in ihr vermülltes Haus ist ausgeschlossen. Den Kammerjäger hat Schröder bereits bestellt.