In einer Harburger HNO-Praxis werden dem Kind die Polypen entfernt. Die Operation ist ein Erfolg, doch im Aufwachraum setzt seine Atmung aus.

Hamburg. Schluchzend betritt der Mann, von dem beinahe Übermenschliches erwartet wird, den Gerichtssaal. Kpejouni B. (40) soll erzählen, was sich an jenem 14. März 2007 abgespielt hat - als sein Sohn Fouzane nach einer Routine-OP in einer Harburger HNO-Praxis plötzlich aufhörte zu atmen. Ihm gegenüber sitzt die Narkoseärztin, die den Tod des Neunjährigen verschuldet haben soll. In dem Prozess vor dem Amtsgericht Harburg geht es um "Zuständigkeiten". Kpejouni B. geht es um Gerechtigkeit. Die Betreuung seines Sohnes sei schlampig organisiert gewesen. "Ich möchte helfen, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt." Aber eigentlich, sagt er, wolle er alles nur schnell hinter sich bringen.

Es war eine Routine-Operation, die tödlich endete: Am 14. März 2007 wurden Fouzane in der Praxis die Polypen entfernt. Die Operation - ein Erfolg, doch im Aufwachraum setzte unvermittelt seine Atmung aus. Zunächst wiederbelebt, starb das Kind eine Woche darauf im Krankenhaus. Sein Hirn war durch den Atemstillstand zu schwer geschädigt.

Vor Gericht muss sich seit gestern die Anästhesistin Dr. Asnath B. (50) wegen fahrlässiger Tötung verantworten - weil sie den Jungen nach der OP nicht genug überwacht haben soll. Die Angeklagte mit den grau-blonden Haaren sagt, dass sie seitdem eine Trauma-Therapie mache. "Der Vorfall verfolgt mich jeden Tag", erzählt sie unter Tränen. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Operateur, den Harburger HNO-Arzt Dr. Horst B. (52), hatte die Staatsanwaltschaft wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt.

Von 1993 an arbeitete die Narkoseärztin aus Lüneburg mit Horst B. zusammen. Sie waren eingespielt und bewältigten täglich zwölf, manchmal noch mehr ambulante Eingriffe. Operationen im 15-Minuten-Takt. Sie habe immer nur die Narkose überwacht. Zwischen den Eingriffen habe sie die Anästhesie für den nächsten Patienten vorbereitet. Fouzane habe Reflexe gezeigt und geatmet, also habe sie ihn an Horst B. übergeben. Er und nicht sie, so die Angeklagte, habe sich absprachegemäß um die Überwachung des Patienten im Aufwachraum kümmern müssen.

Der Kölner Medizinrechtler Thomas Ufer (Kanzlei Dr. Halbe) hat häufiger mit tragischen Fällen zu tun, die auf mangelnde Absprachen zwischen Operateur und Anästhesist zurückgehen. Während im OP-Saal die Aufgaben eindeutig verteilt seien, sei häufig unklar, wer die postoperative Betreuung übernimmt. "Gerade an den Schnittstellen, wo die Verantwortlichkeit des einen Arztes endet und die des anderen beginnt, gibt es häufig Zuständigkeitsprobleme."

Kpejouni B. hätte nur zu gern vom Arzt erfahren, was er hätte tun sollen, als sein Sohn neben ihm im Aufwachraum lag und starb. "Doch ich wurde allein gelassen." Immer wieder hält der 40-Jährige, der nach dem Schicksalsschlag seinen Job und seine Partnerin verloren hat, inne und weint. Er wirkt völlig überfordert. An jenem Tag, es war gegen 8.30 Uhr, habe der OP-Arzt Fouzane in den Aufwachraum getragen, ihn kurz danach wieder verlassen. Da habe sein Sohn noch geatmet. Als er nach einer Weile noch immer nicht aufgewacht sei, habe er sich Sorgen gemacht. Niemand habe sich um ihn gekümmert. "Total beunruhigt" habe er mehrfach um Hilfe gebeten - stets sei er vom Operateur und den Arzthelferinnen mit den Worten "haben Sie Geduld" abgewiesen worden.

Horst B., der als Zeuge aussagt, widerspricht dieser Schilderung. Er habe den Jungen in die Obhut einer Arzthelferin übergeben. Eigens für die Kontrolle im Aufwachraum seien zwei Kräfte abgestellt. Die "Aufwachgebühr" hätten sich er und Asnath B. meist geteilt, sie seien "eigentlich beide" für die Überwachung des Patienten zuständig gewesen.

Die Verantwortung aber soll Asnath B. offenbar alleine tragen.

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.