Einst boten sie Schutz vor Bombenangriffen, heute wird hinter den dicken Mauern gearbeitet, gewohnt und geheiratet.

Hamburg. Sie wussten vorher nicht, wo gefeiert werden würde. Ahnungslos versammelten sich die Gäste an der Feldstraße auf St. Pauli, um zur Hochzeit von Mareike und Gordon Hollenga gebracht zu werden. Aber weit war der Weg zum Überraschungsort nicht: Direkt gegenüber im Flakturm IV, besser bekannt als Feldstraßen-Bunker, sollte sich das Liebespaar sein Jawort geben. Die Aussicht auf eine Hochzeit im doch eher unromantisch wirkenden Betonklotz ließ einige der Gäste innehalten. "Da drin?", fragten sich einige ungläubig bis skeptisch.

Im "Turmzimmer", dem Ort der Trauung, aber ist von düsterer Schutzraumatmosphäre nichts zu spüren. Hochzeitsplanerin Julia Petersen, die Hamburgs erste Bunker-Hochzeit ermöglichte, lässt die Gäste in dem festlich dekorierten Raum Platz nehmen. Der Duft der verstreuten Rosenblätter und das sanfte Licht schaffen einen lieblichen Kontrast zum kalten Beton.

Aus enger persönlicher Verbundenheit zum Bunker und dem Stadtteil entschied sich das Brautpaar für den Bunker. "Wir wohnen hier um die Ecke, fühlen uns in diesem Viertel sehr wohl und ich lege öfter nebenan im Uebel & Gefährlich auf", sagt Gordon Hollenga. Heute zur Trauung trägt er einen adretten Anzug; wenn er Platten auflegt, ist er mit Perücke und Sonnenbrille verkleidet: Der Bräutigam ist ein Teil des DJ-Teams The Disco Boys.

Die Entscheidung für den Schutzbau als Ort der Eheschließung fällte das Brautpaar aber auch vor dem Hintergrund seiner bedrückenden Geschichte. "Wir haben bewusst diesen Ort gewählt, weil zum Leben auch Schattenseiten gehören. Wir wollen mit unserer Hochzeit diesen ehemals negativen Ort mit Liebe aufladen", sagt es.

Für den Moment der Trauung schafft es die festliche Stimmung tatsächlich, unter dem Hochzeitspaar und den rund 20 Gästen vergessen zu machen, was hier im Zweiten Weltkrieg geschah: Damals waren es tausendmal mehr Menschen, die in den Gemäuern Schutz suchten. Bis zu 20 000 standen und lagen damals dicht gedrängt bei großer Hitze hinter den dreieinhalb Meter dicken Betonwänden, fürchteten die Luftangriffe der Alliierten auf Hamburg und hatten Angst, ob der Bunker halten würde. Über ihnen tobte auf dem Dach der Krieg, dort wurden schwere Geschütze als Verteidigung gegen die Bomber abgefeuert.

Es war der 9. September 1940, als als Reaktion auf die Luftangriffe der Führerbefehl zur Errichtung von Flaktürmen in Berlin und Hamburg erging. Sie wurden unter der Leitung von Albert Speer gebaut - auch unter Einsatz von Zwangsarbeitern. Ihr massiver Baustil, ihr solides Aussehen und die gigantischen Ausmaße der Türme waren Teil der Propaganda: Sie sollten der Bevölkerung Sicherheit und Abwehrbereitschaft vorspiegeln. Bis zum Ende der 80er-Jahre gab es in Hamburg rund 1000 Bunker- und Zivilschutzanlagen. Heute sind nur noch 74 dieser Bauten formal zu Schutzwecken eingebunden, 30 von ihnen sind überirdische, sichtbare Hochbunker. Sie sind entweder noch im Besitz des Bundes und der Stadt oder bereits in privater Hand.

Die überflüssig gewordenen Bunker abzureißen ist meist nicht wirtschaftlich, der Unterhalt aber ebenfalls teuer. Mit der Zeit entstehen so immer neue, vielfältige und kreative Nutzungsarten. Das UKE lagert in einem Bunker Patientenakten, viele Schutzbauten werden als Probenräume an Bands und Musiker vermietet, die Uni hat in einem ehemaligen Bunker die Institute für Bodenkunde und Humanbiologie mit Laboren und Seminarräumen untergebracht. In Wilhelmsburg soll der riesige Flakbunker während der internationalen Bauausstellung zum Symbol des Klimaschutzes werden: Mit einer 3500 Quadratmeter großen Solarthermieanlage und einem Biomasse-Blockheizkraftwerk könnte er dann mehrere Hundert Haushalte mit Wärme, Warmwasser und Strom versorgen. Während in viele Bunker neues Leben eingezogen ist, scheint die Zeit an der Bramfelder Straße stehen geblieben zu sein. Mit dem Betreten des Bunkers, der in den 70er-Jahren gegen ABC-Angriffe ausgerüstet wurde, beginnt eine Reise in vergangene Zeiten.

Durch massive Stahltüren und eine Strahlenschutzschleuse betritt man einen Ort, an dem alles noch zu sein scheint wie während des Kalten Krieges. Es riecht nach Öl und Diesel, die Luft ist feucht wie in einem Keller. In der Kommandozentrale steht Peter Mohr vom Förderverein historischer Zivil- und Bevölkerungsschutz, der den Bunker als Museum instand hält. Er führt durch Räume, die bis in den letzten Winkel mit einfachen Stahlpritschen gefüllt sind. "Ein Drittel der Bunkerinsassen sollte auf ihnen schlafen, das zweite Drittel auf Sitzbänken Platz nehmen, an denen Kopfpolster vor den Erschütterungen durch Bombeneinschläge schützen sollten. Das dritte Drittel hatte die Aufgabe, die anderen beiden zu versorgen", erklärt der frühere Referent für Zivilschutz der Innenbehörde. Doch das Museum ist in Gefahr. Der Bund will sich von allen Bunkern trennen, auch von diesem. Einen Kauf kann sich das Museum nicht leisten, die Zukunft ist ungewiss.

Timo Schwamberger hat dagegen schon vor einiger Zeit von den Veräußerungen profitiert, sich einen Bunker an der Tonistraße in Eilbek gekauft und ihn zu seinem persönlichen Zufluchtsort gemacht. Der Individualist "wollte eben nicht gewöhnlich wohnen" und baute sich einen Teil der Schutzanlage zu einer Wohnung aus. Erster und zugleich aufwendigster Bauabschnitt war das Heraussägen der Fenster aus dem mehr als einen Meter dicken Beton. "Das mit Diamanten besetzte Seil kostet 150 Euro pro Meter und frisst sich mit extrem hoher Geschwindigkeit durch Stahl und Beton", erklärt Schwamberger. Wenn sich Teile von ihm lösten, würden sie zum tödlichen Geschoss. Für jedes Fenster hat das Seil drei bis zu acht Tonnen schwere Betonblöcke aus der Wand geschnitten. Allein die Fenster hätten 20 000 Euro gekostet, sagt der Bunkerbewohner. Doch die Kosten und Mühen haben sich gelohnt. Das Loft beeindruckt mit hohen Decken, die großen Fenster sorgen für viel Tageslicht. Die Küche, in der noch eine Wand im Bunkerlook erhalten ist, ist mit dem Wohnzimmer verbunden, der betonkalte Boden ist mit Dielen und Fußbodenheizung veredelt.

Im Bunker am Winterhuder Poelchaukamp ist dagegen noch vieles im Urzustand. Wenn man sich hier den oberen Stockwerken nähert, lassen Bässe das Stahl-Geländer zittern und das Zwerchfell vibrieren. "Wir mögen es bei der Arbeit laut, das ist näher dran an der Auftrittsatmosphäre", sagen Jens Moelle und Ysmail Tüfekçi alias Digitalism. Das Elektro-Duo arbeitet gerade an seinem neuen Album und findet die Bunkeratmosphäre zum Arbeiten besonders fruchtbar: "Hier drinnen gibt es keine Schnittstelle nach draußen. Egal ob es Sommer oder Winter ist, hier sind wir isoliert, werden nicht abgelenkt. Das fördert unsere Fantasie." Schon ihre erste Sound-Werkstatt hatten sie in einem Bunker in Hasselbrook - zwischen alten Munitionskisten. In ihrem neuen Studio sieht es aus wie in einem Hobbykeller: Auf 15 Quadratmetern liegen unzählige Kabel, stehen Geräte und Mischpulte mit geschätzten 2000 Knöpfen. "Das hier ist wie ein Spielplatz für uns, wir kaufen uns ständig neues Spielzeug dazu", sagt Moelle.

Wenn die Tüftler nicht an den Reglern drehen, touren sie 300 Tage pro Jahr durch die Klubs und treten weltweit auf.

Mareike und Gordon Hollenga hatten gerade ihren großen Auftritt. Sie haben Ja gesagt und betreten die Terrasse oben auf dem Bunker. Mit Blick über St. Pauli und bis zur Elbe wird der Bräutigam pathetisch: "Unsere Liebe soll so unzerstörbar wie der Bunker sein." Wieder knallt es laut. Dieses Mal sind es Champagnerkorken - keine Geschütze.