Morgens Kirche, mittags Küche: Das Geld spendet der Geistliche für die Jugendarbeit in seiner Gemeinde.

Hamburg. Seine Geschichte beginnt in einer Krise. Im Winter 1951. Sechs Jahre nach Ende des Krieges. In der Würzburger Uniklinik bringt die junge Kroatin Katharina Rohrlack ihr erstes Kind zur Welt. Einen Jungen mit dunkler Hautfarbe und schwarzen Augen. Joachim. Der Vater, ein amerikanischer Soldat, kehrt noch vor der Geburt in die USA heim. Er wird seinen Sohn Joachim nie kennenlernen. Kurz darauf geht auch die Mutter. Lässt ihren Säugling allein zurück. Ein Jahr lang bleibt er im Krankenhaus. Dann wollen ihn die Schwestern nicht mehr. Er kommt in ein Kinderheim. Für 13 lange Jahre. Wird geduldet, aber nicht geliebt. Und dennoch sagt Rohrlack: "Ich bin dankbar für diese Zeit. Sie hat mir geholfen, Menschen in unterschiedlichen Situationen zu verstehen. Sie hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, für andere da zu sein. Sich ihnen zuzuwenden."

Menschen verstehen, ihnen zuhören, helfen, Mut machen - das ist heute sein Job. "Sie von der Straße an den Tisch holen", sagt Joachim Rohrlack, während er gekonnt die Teller im Block-House-Restaurant am Gänsemarkt abräumt und die schwarze Schürze enger schnürt. Noch vor zwei Stunden stand er am Altar seiner Kirche. Ein Pastor in schwarzem Talar und grüner Stola. Im Gottesdienst.

In Gottes Dienst kellnert er auch im Block House in Harburg. Tische abräumen, eindecken, Servicetische auffüllen. Zuhören. Anteil nehmen. Helfen. Im weitesten Sinne. Den anderen. Und seiner Gemeinde. "Ursprünglich wollte Herr Rohrlack bei uns nur eine Spende für die Jugendarbeit seiner Kirche erbitten", erinnert sich Block-House-Geschäftsführer Martin Schmoll (44). "Dann bot er an, für diese Spende zu arbeiten." Als Busboy - und als Seelsorger in Kellnerschürze. Er spricht mit den Gästen, hört sich die Sorgen der Mitarbeiter an. Er berät, wenn es um Ehekrise, Trennung, Arbeitsplatzverlust geht. Um Krankheit, Abschied, Tod. Er berät, wenn es um Kaffee oder Cappuccino geht, um Eis oder Obstsalat. Denn glücklicherweise kommt der Pastor ursprünglich aus der Gastronomie.

Den Menschen mit dem Herzen begegnen, das ist sein Ziel. "Weil ich weiß, wie wichtig Zuwendung ist. Und was sie aus einem macht, wenn man sie nicht erfährt." So wie er damals. Mit 14 will er aus dem Kinderheim weg. Hauptsache weg. Die Heimleitung genehmigt ihm den Auszug unter der Bedingung, dass er sich eine Lehrstelle sucht und ein Zimmer mietet. Joachim weiß genau, was er will: Schiffskoch werden.

Er hat jetzt ein Ziel. Und sieht zum ersten Mal einen Sinn in seinem Leben. Im ältesten Wein- und Speisehaus Unterfrankens, "Zum Stachel", findet er eine Lehrstelle. "Ich habe von sechs Uhr früh bis zwei Uhr nachts geschuftet", sagt Joachim Rohrlack. Zweieinhalb Jahre lang. Nur zwei Sonntage hat er in dieser Zeit frei. Am 19. August 1969 schickt der gelernte Koch seine Bewerbung an die Deutsche Atlantik Linie am Ballindamm. Er hat Glück. Und bekommt eine Zusage für eine Festanstellung zum 15. Oktober desselben Jahres.

Am 1. Oktober platzt der Traum. Mangels Buchungen wird die Zusage zurückgezogen. Für Rohrlack bricht eine Welt zusammen. "Ich hatte Selbstmordgedanken", sagt er. Und: "Zum ersten Mal habe ich mich gefragt, warum bin ich eigentlich auf dieser Welt?" Joachim Rohrlack fährt nach Lüneburg.

Dort leben Sonny und Wilhelm Bierbaum, ein Ehepaar, das bereits 13 Jahre zuvor eine Adoption des Jungen versucht hatte. Vergebens. Jetzt sind sie sein Rettungsanker. Zum ersten Mal erfährt der 18-Jährige Geborgenheit, Familie, Liebe. Und die Berührung mit dem christlichen Glauben. "Seitdem bin ich ein Christ", sagt Joachim Rohrlack heute. "Und glaube, dass in jeder Krise auch eine Chance liegt." Was folgt, ist die mittlere Reife, das Abitur, Studium an der kirchlichen Hochschule, die erste Dienststelle in Clausthal-Zellerfeld. Die Hochzeit mit seiner Frau Elfie und die Geburt seines Sohnes Dominik Christian, der inzwischen ebenfalls Theologe ist. 1999 kommt Pastor Rohrlack schließlich nach Hamburg.

Sonntags zwischen 10 und 11 Uhr steht er vor dem Altar der evangelisch-methodistischen Christuskirche Harburg, versteckt in einem Hinterhof der Maretstraße. "Ansonsten bin ich das wandelnde Evangelium", sagt Pastor Rohrlack, auf dessen Parker in dicken weißen Buchstaben das Wort "Pastor" steht. Damit ihn jeder erkennt. Damit ihn jeder anspricht. Und damit ihn jeder respektiert. "Wegen meiner dunklen Hautfarbe bin ich schon das eine oder andere Mal diskriminiert worden."

Und das mitten im Harburger Phoenixviertel - einem Quartier, das von hoher Arbeitslosigkeit, vielen Ausländern, Gewalt und Kriminalität geprägt ist. Mit Häusern, in denen Hoffnungslosigkeit zu Hause ist. Mit Kindern, die manchmal nicht einmal richtig versorgt werden. Geschweige denn geliebt.

Für eben diese Kinder geht der Pastor kellnern. Für eben diese Kinder sammelt er Geld. Und beschäftigt davon eine Sozialpädagogin, die sich um sie kümmert. "Be one" und "Cross Kids" heißen die Projekte. Es gibt Kletterkurse und Partys, Ausflüge, Abenteuerspiele, Aufmerksamkeit. Es gibt Zuwendung und Ziele. Es gibt Krisen - und es gibt Chancen. "In Chinesischen Schriftzeichen sind Krise und Chance gleich", sagt Rohrlack. "Es kommt auf die Betonung an."