Die Schiffe bieten weder Fahrplan noch Luxus, aber dreimal am Tag Captain's Dinner für die Passagiere.

Hamburg. Evelyn (60) und Erhard Freitag (80) haben das Meer mit all seinen Gesichtern erlebt. Strahlend blau, rau, wild und unbändig. Sie haben die romantische Aussicht von der Brücke genossen, aber auch schlaflose Nächte in heftigen Stürmen verbracht oder tagelang in großen Häfen gelegen. "Das Meer hat uns immer wieder überrascht", sagt die kleine fröhliche Frau. "Nie haben wir es so abwechslungsreich gesehen wie auf unseren Reisen."

Die Freitags haben für ihre Entdeckertouren auf dem Meer eine eher ungewöhnliche Form gewählt: Seit einigen Jahren fahren die beiden regelmäßig mit Frachtschiffen durch die Welt. Eine Kreuzfahrt der besonderen Art ohne Luxus, Animation oder aufwendig geplante Landausflüge. Ihre Schifffahrten sind nur schwer planbar, teilweise weniger komfortabel, dafür aber ursprünglich und aufregend. "Auf den Reisen haben wir Dinge erlebt, die es auf einem Kreuzfahrtschiff nie gegeben hätte", sagt Evelyn Freitag und lacht.

Begonnen hatte alles mit einem Traum. Ein Traum, der erst nach der Pensionierung Wirklichkeit wurde. "Mein Mann wollte immer einmal mit einem Frachtschiff durch den Panamakanal reisen", sagt die gebürtige Hamburgerin. "Und eines Tages saßen wir im Winter abends am Computer und stießen auf eine Frachtschiffreiseagentur." Für die Außenhandelskauffrau war bis dahin alles nur ein Spiel. Nicht für ihren Mann, der früher als Schmierstoffkoordinator bei Shell gearbeitet hat. Der wollte mit seiner Frau eine Weltreise machen. Und so meldete das Ehepaar seinen Reisewunsch bei der Agentur an. Jetzt hieß es warten, bis das richtige Schiff in Hamburg einlief. "Die Routen sind nur schwer auf den Tag genau buchbar. Deshalb muss man Geduld haben."

Die "Rickmers Houston" sollte auf der ersten Reise für vier Monate ihr Zuhause werden, ein Stückgutfrachter der Rickmers Reederei, der mittlerweile außer Dienst gestellt wurde. Von Hamburg ging es unter anderem nach Antwerpen, Genua, Singapur, Shanghai, Yokohama, Panama, Houston und zurück nach Hamburg. Die Lade- und Hafenzeiten nutzte das Paar, um die Städte fern der Heimat zu erkunden. "Das war definitiv das größte Abenteuer unseres Lebens", sagt Evelyn Freitag. Bis heute haben beide den Aufenthalt in Shanghai nicht vergessen. Wie sie mit einer chinesischen Taxifahrerin stundenlang durch die Stadt und ihre Außenbezirke fuhren. Oder das Warten auf die Passage durch den Panamakanal - um dann bei der Durchfahrt das beeindruckend grüne Ufer zu bestaunen. Auch an einen Sturm in der Biskaya erinnert sie sich noch genau. "Fünf Tage lang sind wir durch den Orkan gefahren. Wir haben keine Fahrt voraus gemacht. Das war beängstigend."

Die Freitags haben seitdem immer wieder Reisen mit Frachtschiffen unternommen, Wand an Wand mit der Besatzung geschlafen und die Mahlzeiten geteilt. "Wir hatten quasi dreimal täglich Captain's Dinner. Wer hat das schon auf einem Kreuzfahrtschiff?", fragt Evelyn Freitag und lacht. So habe sie auch einen tiefen Einblick in die Arbeits- und Lebenswelt der Seeleute erhalten. "Die Crew genießt diesen Kontakt, so hören sie mal andere Geschichten, werden in ihrem Alltag abgelenkt." Nicht selten mussten sie sich aber mit Händen und Füßen verständigen, "denn die Matrosen von den Philippinen oder aus Indien sprechen häufig nur gebrochenes Englisch." Die Kabinen, in denen sie wohnten, waren meist geräumig und ordentlich ausgestattet - allerdings ohne Luxus. "Wir hatten immer ausreichend Platz. Der Komfort ist aber nicht mit dem in einem hochklassigen Hotel oder auf einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff zu vergleichen." Die schlichten Kammern störten sie dabei genauso wenig wie die fehlende Unterhaltung. Handy, Telefon oder Fernseher, die auf See aber nicht funktionieren, gab es immer.

"Man muss das Meer und die Natur lieben und sich selbst beschäftigen können, denn Animation darf man auf diesen Reisen nicht erwarten", sagt Evelyn Freitag, die sich nach den vielen Wochen auf See ganz selbstverständlich auch auf fremden Schiffen wie der "Rickmers Seoul" bewegt. "Aber gerade deshalb ist man auch nirgends so weit weg wie auf dem Frachtschiff, nirgends kann man so gut abtauchen wie auf diesen Reisen."

Ihre Erlebnisse hat Evelyn Freitag in zwei Büchern verarbeitet, die bei Books on Demand unter den Titeln "Frachtschiffreise - Das größte Abenteuer meines Lebens" und "Frachtschiffreise nach Australien - Zwischen Containern um die Welt" erschienen sind. Und auch wenn es nach der Lektüre scheint, als hätten die Freitags die ganze Welt gesehen, genug haben sie noch lange nicht. Ihr nächstes Ziel mit dem Frachtschiff: die Südsee.