Nach dem schweren Unfall will der Artist den Ärzten, Helfern und Hamburgern Danke sagen. Und allen zeigen, dass er wieder da ist.

Hamburg. Manchmal sieht er schlimme Dinge. Seine Familie, wie sie mit dem Auto verunglückt. Seine Schwester Anna, wie sie von dem 52 Meter hohen Mast stürzt. Und das Seil, über das er mit dem Motorrad fährt, wie es plötzlich reißt. Szenen, die sich seit seinem Unfall in seinem Kopf abspielen. Und die Johann Traber jr. einfach nicht loswird. "Ich habe eben einen Dachschaden", sagt Johann Traber jr. und lächelt. Das macht er so. Sobald er etwas Ernstes sagt, macht er einen kleinen Scherz. Zur Aufmunterung. Für sein Gegenüber.

Und für sich selbst. Johann Traber jr. will allen zeigen, dass er wieder da ist. Dass es ihm besser geht, als alle denken. Deshalb ist er zurück auf dem Seil. Und zurück in Hamburg, der Stadt, in der er vor knapp dreieinhalb Jahren bei einem Auftritt zur Einweihung des neu gestalteten Jungfernstiegs beinahe gestorben wäre (siehe rechts). Heute wird der 25 Jahre alte Hochseilartist hier zum ersten Mal wieder auftreten.

Unter dem Motto "Danke, Hamburg" veranstalten er und seine Familie vier Tage lang ein Fest vor dem Alten Elbtunnel. Mit Buden, Livemusik und täglich zwei 25-minütigen Hochseil-Shows, bei denen Johann Traber jr. die Eröffnungsfahrten machen wird (jeweils um 15 und 19 Uhr, Sonntag nur um 15 Uhr). Um sich bei seinen Rettern, den Ärzten, den Therapeuten und den Hamburgern zu bedanken.

Und für sich selbst. "Von der Psyche her ist das anstrengend", sagt Johann Traber jr. und lächelt. "Aber ich bin ein Unkraut, das nicht vergeht."Nach seinem Unfall musste er alles neu lernen. Sprechen, essen, gehen. Noch immer nuschelt er ein bisschen und muss sich konzentrieren beim Sprechen. Noch immer sieht er Schatten auf seinem rechten Auge, kann mit dem linken Bein das Gleichgewicht nicht halten. Nicht riechen und nicht richtig schmecken. Nur wenn etwas richtig scharf ist. Oder salzig. Und er hat immer wieder Schmerzen. Im linken Fußgelenk, im Becken, an den Rippen. Dreimal pro Woche macht er Reha. "Es gibt Tage, an denen der Kopf nicht mitspielt und es mir schlecht geht", sagt er. "Dann bin ich träge und müde, und mir ist alles egal."

An den anderen Tagen aber hat Johann Traber jr. diesen unfassbaren Willen. Der brachte ihn dazu, auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Unfall wieder aufzutreten und mit dem Motorrad über das Hochseil zu fahren. "Das war das Schönste überhaupt", sagt er. Rund 20-mal ist der Artist seitdem aufgetreten. Nur das Laufen auf dem Seil klappt wegen des Gleichgewichts noch nicht. Daran arbeitet er noch. So oft er kann. Johann Traber jr. ist süchtig nach dem Seil. Ein normales Leben könnte er nicht aushalten. Er ist so aufgewachsen. Hochseilartist in 15. Generation.

"Wir haben es in unserem Herzen, es ist unsere Leidenschaft", sagt sein Vater, Johann Traber sen. "Das ist nicht gespielt." Der 55-Jährige spricht schnell, er ist ein bisschen angespannt. Hamburg macht ihn emotional. Klar freue er sich, hier auftreten zu können. Aber genießen könne er es nicht. Als Vater trägt er schließlich die Verantwortung. Und daran trägt er seit dem Unfall schwer. "Ich traue mich nicht mehr, glücklich zu sein", sagt der Artist. Es sei ja noch nicht zu Ende. Aber es gehe geradeaus. Dafür sorgen auch seine Töchter. Katharina (21) sitzt bei den Motorradfahrten im Trapez. Und Anna (23) übernimmt die akrobatischen Übungen in 52 Meter Höhe. Die sogenannte Mastarbeit - der Job, bei dem ihr Bruder abstürzte. "Vor dem Auftritt spult man zwar ab, was passieren könnte", sagt Anna. "Aber wir wissen ja, dass das nicht wieder passiert." Trotzdem könnten sie und ihre Schwester nicht zusehen, wenn ein anderer auf dem Seil ist. "Mit dem Laufen übers Seil sollte Johann sich noch Zeit lassen", sagt Katharina. Der Schock sitzt tief. Noch immer. Für ihren Bruder kann das jedoch nicht schnell genug gehen. Sein großer Traum ist es, selbst wieder auf den 52 Meter hohen Mast klettern zu können. Ein bisschen nervös, dass gerade in Hamburg wieder etwas passieren könnte, ist Johann Traber jr. vor dem ersten Auftritt an den Landungsbrücken aber schon. "Ich möchte den Hamburgern nicht wieder wehtun", sagt er. "Und mir natürlich auch nicht." Dann lächelt er.

Johann Trabers schwerer Unfall 2006

Bei der Einweihung des neu gestalteten Jungfernstiegs am 21. Mai 2006 erlebten Tausende Hamburger ein Drama: Während seines Auftritts stürzte der Hochseilakrobat Johann Traber jr. von dem 52 Meter hohen Hochseilmast. Beim Handstand auf der Plattform brach die Mastspitze wegen eines Materialfehlers ab - Traber stürzte in die Tiefe und schlug mit dem Kopf gegen das Eisengestell. Minutenlang hing er bewusstlos am Sicherungsseil, sein Vater, Johann Traber sen., hielt seinen Sohn, bis ihm die Feuerwehr in einem Sicherungskorb zu Hilfe kommen konnte. Tagelang schwebte der damals 22-Jährige in Lebensgefahr. Johann Traber jr. erlitt schwerste Kopfverletzungen, brach sich etliche Knochen und Rippen. Einen Monat lang lag er im künstlichen Koma, fünf Monate verbrachte er in der Asklepios-Klinik St. Georg. Mit 500 Gramm Schrauben und einem Stangensystem wurden damals sein zerborstenes Becken, sein linker Oberschenkel und seine gebrochenen Rippen fixiert. Erst Anfang dieses Jahres konnten die Ärzte sie wieder entfernen. Nachdem er im Rollstuhl gesessen und mühsam wieder sprechen, essen und laufen gelernt hatte, traute sich der Akrobat bereits ein Jahr nach dem Unfall wieder ins Trapez, als Mitfahrer unterhalb des Motorrads seines Vaters. Zwei Jahre später fuhr er zum ersten Mal wieder selbst.