In die Bahn setzen, ein gutes Buch lesen oder einfach eine Runde dösen? Vergiss es! Es weht längst ein neuer Wind auf deutschen Gleisen.

Tag täglich spielen sich Szenarien ab, die demonstrieren, wie der moderne Mensch Bahn fährt.

Vor allem für den Norden heißt es: Wer braucht schon den Kiez, wenn man Bahn fahren kann? Endstation Party! Für Getränke und Musik ist stets gesorgt, und oft werden dazu kleine Häppchen aus an Bahnhöfe grenzenden Dönerbuden gereicht. Die Stimmung kommt schnell zum Kochen, da dem Partyvolk vom hauseigenen DJ ordentlich eingeheizt wird.

Dies wirkt sich nicht selten übel auf die Laune der übrigen Fahrgäste aus, welche die Leidtragenden des ganzen Spektakels sind. Sie sind nicht nur von Lautstärke und Konversation der Partypeople genervt, sondern werden auch noch von Kommerzmusik, die aus Handylautsprechern dröhnt, belästigt.

Zwei Fronten, ein Terrain. "Ich will meine Ruhe!" gegen "Ich will Spaß!"

Sprich: ein Reiseerlebnis, das zwar für jeden abenteuerlich, für die wenigsten jedoch erträglich ist.

Das Phänomen der neuen deutschen Reisekultur lässt keine Altersgruppen aus. Während die Jugend ihre tägliche Dosis Spaß auf der Bahnfahrt konsumiert, leisten sich die Senioren gerne lauthals eine Runde Doppelkopf, und es wird feuchtfröhlich gefeiert, dass man endlich von der Alten zuhause weg ist.

Die Lösung des Problems? Schwierig! Den Gestank lindern geöffnete Fenster, doch der Müll, der vernichtet sich leider nicht von selbst. Die Kapazität der Mülleimer ist schnell erschöpft, und es bleibt eine riesige Müllhalde, bestehend aus leeren Mc-Donald's-Tüten und auf dem Boden hin und her rollenden Schnapsflaschen. So haben sogar die Gäste, die das Spektakel nicht live miterlebt haben, noch etwas von der Feierei. Sie sind sozusagen herzlich auf die After Party eingeladen und können sich an klebrigen Tischen sowie beschmierten Sitzen und nicht selten schlafenden Alkoholleichen vor ihren Füßen erfreuen.

Liebe Reisende: Die ist kein Appell an das Spießertum. Doch: So froh wir über Feierabende oder einen netten Ausflug mit Freunden auch sein mögen, so sehr wir das Recht auf die freie persönliche Entfaltung schätzen und obwohl wir uns alle eingestehen müssen, dass jeder seinen Teil zu der neuen deutschen Reisekultur beiträgt. Eines steht fest: Auch auf Bahnfahrten ist weniger manchmal mehr.