Warum im bekannten “Stern-Haus“ an der Billhorner Brückenstraße immer mehr Künstler und Stadtplaner arbeiten.

Hamburg. Lastwagen mit Containern scheppern vorbei, Autos stoppen in Viererreihen vor großen Ampelanlagen, fahren wieder an. Rechts Abbiegespuren, links Abbiegespuren - die Adresse Billhorner Brückenstraße 40 ist nicht gerade eine der lauschigsten Ecken Hamburgs. Hier, mitten in dem Fahrbahnknäuel vor Autobahn und Elbbrücken in Rothenburgsort, wirkt das graue, kantige Gebäude mit dem markanten Stern auf dem Dach wie ein einsamer, vergessener Bauklotz, an dem täglich Tausende vorbeirauschen. Und mancher Autofahrer mag sich fragen, wer wohl hier an einer der lautesten und verkehrsreichsten Stellen Hamburgs leben oder arbeiten muss.

Heiko Zahlmann fragt sich das schon lange nicht mehr: Seit elf Jahren arbeitet der Künstler hier mit seinen beiden Kollegen Gerrit Peters und Mirko Reisser in einem großen Gemeinschaftsatelier: Getting-up ist der Name. Bekannt geworden sind die drei Sprayer unter anderem mit einem riesigen Bild am Blohm+Voss-Dock 10; sein Atelier liegt nur wenige Kilometer weiter elbaufwärts.

"Hamburgs erste Adresse, gleich am Eingang zur Stadt", sagt Zahlmann zu seiner ungewöhnlichen Adresse und lacht. Aber laut? Nein, sagt er. "Wir haben hier Ruhe zum Arbeiten, das Haus liegt absolut zentral, und wir haben hier viel Platz für wenig Geld." Vorteile, die viele kreative Firmen hier schätzen. Das "Stern-Haus", wie das Gebäude genannt wird, ist längst einer Art kreativer Vorposten der Stadt. Und damit symptomatisch für diesen Platz an der Norderelbe, der sich mit Brandshof, Oberhafen und Rothenburgsort gerade zu einem kreativen "Hotspot" der Stadt zu entwickeln scheint. Ateliers, eine Internetradio-Station und ein Tonstudio, in dem schon Rockstars wie Tom Waits Songs eingespielt haben. Planer und Künstler, aber auch ein Ausrüster für große Schiffsmotoren finden sich hier. Längst ist das Stern-Haus Teil einer Gemeinschaft, von der viele glauben, dass sie sonst wohl nur in der Schanze oder auf St. Pauli zu finden ist.

"Für mich ist hier die Lage viel besser, zentral und doch praktisch mitten im Hafen", sagt Rüdiger Knott, der sich im Stern-Haus ebenfalls ein Atelier eingerichtet hat. Lange war Knott Radiomann, zuletzt Programmchef bei NDR 90,3, aber immer auch Künstler. Früher nur im Privaten, inspiriert von Joseph Beuys. 2004 verabschiedete Knott sich in den Ruhestand und drehte als Künstler auf. Viele Ausstellungen hatte er schon in der Stadt. Oft mit Materialien, die er im Hafen gesammelt hatte. Sein großer Raum im Stern-Haus erinnert dann auch an eine Mischung aus Hafenwerkstatt, Museum und Atelier: Alte Bojen liegen dort, Farbeimer, fein gesäubertes und zerfranstes Tauwerk, Schäkel - alles gereinigt, sortiert und zu reliefartigen Objekten zusammengefügt. Ein buntes Sammelsurium mit starkem maritimen Einschlag, das auch als Gesamtkunstwerk durchgehen könnte - aber kaum jemand in dem grauen Gewerbebau vermuten dürfte.

Nebenan hat eine Bürogemeinschaft von Architekten und Stadtplanern ihre Büros. In den 20er- Jahren gebaut, gehörte das Haus lange Zeit zur Schneider-Innung, heutiger Eigentümer ist die städtische Immobilienverwaltung Sprinkenhof AG. Wie überall im Haus sind die Fenster dort sehr hoch eingelassen. Der Blick nach draußen würde nur stören, dachte man vor fast 100 Jahren, als das Gebäude geplant wurde.

Schneiderinnen, die am Tisch arbeiteten, konnten seinerzeit noch nicht nach draußen gucken. Rolf Kellner vom Planungsbüro überNormalNull und seine Kollegen haben das Problem der zu hohen Fenster wie viele andere Mieter im Stern-Haus mit Podesten gelöst. Im siebten Stock blicken sie nun über Hafen und HafenCity auf die Innenstadt. "Bezahlbare Büroräume mit Chefblick haben wir hier alle", sagt er. Doch nicht nur deshalb sei das Stern-Haus so ideal für junge Firmen. Die alten Räume haben sich die Unternehmen einfach selbst ausgebaut, günstig, meist in Eigenregie.

Der Gewerbebau bietet den Unternehmen viel Platz zu wachsen oder auch zu schrumpfen. Viele fingen mit wenigen Quadratmetern an, vergrößerten sich später. Und konnten sich verkleinern, wenn es geschäftlich einmal nicht lief. Kellner: "Wenn es so ein Haus nicht geben würde, müsste man es neu bauen."