Abendblatt-Reporter Jens Meyer-Odewald versuchte sich im neuen Volkssport - und scheiterte schnell.

Schon die ersten beiden Karten sind eine Frechheit: Karo fünf und Pik sieben. So ist der große Coup bei der "FullTiltPoker.net Million Euro Challenge" nicht zu schaffen. Benedikt, der Dealer, kassiert den grauen 1000-Euro-Chip. Das nächste Blatt, immerhin ein Drilling, geht ebenso baden: Der Milchbubi gegenüber blufft besser, sackt für seine läppische Dame ein paar Tausender ein. Das Zockerleben ist ungerecht, erkennt der Novize im Nu.

Die einzige Dame am Zehnertisch muss zuerst passen: Als "All in!" gefordert wird, sprich Einsatz des ganzen Kapitals, geht sie furchtlos mit - und bankrott. Schon wieder hat der Milchbubi zugeschlagen. Der Typ mit dem roten Gesicht zwei Plätze weiter küsst ein winziges Glücksschweinchen. Sein glatzköpfiger Nebenmann führt murmelnd Selbstgespräche, ein anderer sinniert mit geschlossenen Augen.

Da es in der riesigen Halle konzentriert zur Sache geht, hat er relative Ruhe. Im letzten von drei Durchgängen à 1300 Spieler, Heats genannt, steht das Weiterkommen auf dem Spiel. Männer sind in der Mehrzahl, die meisten unter 30, Leute von nebenan. Viele tragen Baseballkappen, einige Sonnenbrillen. Auf keinen Fall spiegelnd, das ist wichtig. Alle eint der Traum vom "Big Deal".

Derweil sich die Geldberge bei den meisten Kollegen lichten, behält der Nachbar zur Rechten Humor. "Mehr riskieren", flüstert er aufmunternd. Der Hobbyspieler ist mit seinem Sohn aus Bochum angereist. Beide hatten sich zuvor neben mehr als 50 000 Rivalen in Internetturnieren qualifiziert. Online wie auch an den 130 Tischen in der Messe geht es nur um Spielgeld. Nur die am Ende ausgelobte Million ist echt.

Dass der Zaster ganz persönlich in immer weitere Ferne rückt, liegt am grauenhaften Blatt, natürlich, aber auch an der hasenfüßigen Spielweise. Der finale Bluff geht nach hinten los. Ausgezockt, nach gerade mal 53 Minuten. Geringschätzig grinst der Milchbubi. Die Geldtürme vor ihm wachsen. Welch Segen, dass ein Bataillon "Body Angels" bereitsteht: attraktive Ladys kneten strapazierte Nacken und lindern so den Schmerz der Schmach. Gratis. Weiteren Möchtegern-Pokerprinzen ergeht's nicht besser: Die Tische leeren sich zusehends. Als nachts um zwei in den Messehallen die drei Champions geehrt werden, sind 3897 Mitstreiter auf der Strecke geblieben. Im Scheinwerferlicht stehen eine junge Krefelderin und zwei Hamburger: Betriebswirt Dietmar Bartsch sowie der Hafenarbeiter Markus Germer. Im Finale im Oktober geht es ums Ganze.

Wie so etwas gut läuft, weiß keiner besser als Marco Sander (20), Bundeswehrsoldat aus Basdorf in Brandenburg. Im Mai nahm er an einem ähnlichen Wettbewerb teil, erreichte das Endspiel - und ist seitdem Millionär. Die Hallen neben dem Spielsaal füllen sich zusehends. Ein buntes Rahmenprogramm mit mehr als 5000 Gästen dämpft den Frust vorzeitigen Passens. Auf einem rot erleuchteten Podest sitzen Pokerasse aus den USA und schreiben Autogramme. In separaten Räumen können sich Besucher mit Weltmeistern messen, einer offeriert Schnellkurse. In einer Ecke demonstriert ein Zauberer Tricks mit Jetons.

Dabei sind auch die Mitglieder des Poker-Klubs "All In" aus Winsen/Luhe. Zahnarzthelferin Jana Dreyer (27) musste bereits passen; dagegen siegt Lagerleiter Mike van Severen (27) an seinem Tisch und freut sich über den Einzug in die Runde der letzten 390.

Plötzlich bricht ein Tumult aus: Ein Mann mit langem Haar, Vollbart, Samtjackett und Cowboyhut schlendert Richtung Podium. "Jesus!", flüstert eine Frau ergriffen. Gemeint ist Chris "Jesus" Ferguson (46) aus Los Angeles, Champ fast aller Klassen, Ikone und Idol gleichermaßen. Der Doktor der Mathematik gewann in den letzten Jahren 7,7 Millionen Dollar und gilt als megacool. Nebenbei beherrscht er das Kunststück, eine Karotte mit dem Wurf einer Pokerkarte aus drei Meter Entfernung zweizuteilen. Privat entpuppt er sich als angenehmer Mensch. "Nach dem ersten Flop nicht verzagen", rät Ferguson. "Man kann Bluffen lernen."