Klinikbetreiber Ulrich Marseille ist zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt auf vier Jahre zur Bewährung, verurteilt worden.

Hamburg. Es ist vorbei - vorerst zumindest. Nach 21 Monaten und 40 Verhandlungstagen ist im Prozess gegen den Hamburger Klinikbetreiber Ulrich Marseille vor dem Landgericht Halle gestern das lang erwartete Urteil gefallen. Wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit versuchter uneidlicher Falschaussage ist der Multimillionär zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt auf vier Jahre zur Bewährung, verurteilt worden. Außerdem, das ist die Bewährungsauflage, muss der 53-Jährige sechs Millionen Euro an die Staatskasse zahlen.

Der Verurteilung liegt ein neun Jahre zurückliegender Prozess zugrunde. Die von Marseille betriebene Firma EWG Hansel Wohnungs-KG hatte 114 Millionen Mark Schadenersatz für rund 2000 Plattenbauwohnungen in Halle-Neustadt gefordert, die sie 1997 von der städtischen Wohnungsgesellschaft GWG in Halle erworben hatte. Grund: Die GWG habe im Kaufvertrag verschwiegen, dass ein wesentlicher Teil der Mieter über Jahre keine Miete oder Betriebskosten gezahlt habe. Dadurch seien die Einnahmen der EWG deutlich geringer ausgefallen, als die GWG bei Vertragsabschluss zugesichert habe.

In einer Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Naumburg benannte die GWG einen Zeugen, der ihre Position stärken sollte. Doch kurz vor der Vernehmung erhielt der für die GWG wertvolle Zeuge zwei anonyme Briefe eines gewissen "Anatoli". Die Briefe, in denen auch von seiner Gesundheit und der seiner Familie die Rede war, dienten offenbar einem Zweck: ihn einzuschüchtern. Vor Gericht sollte er bewusst die Unwahrheit sagen oder dem Verfahren fernbleiben. Nutznießer: EWG.

Doch von wem stammten die Drohbriefe? Marseille hatte eine Tatbeteiligung immer abgestritten. Im Raum standen während des Prozesses dagegen Stasi-Vorwürfe gegen seinen Prozessgegner, den früheren GWG-Chef. Die Briefe, so die Logik, trügen schließlich die Handschrift der Stasi.

21 Monate ging die neunte Strafkammer in Halle der Frage nach, wer den Zeugen bedrohte - und sah am Ende Marseille in der Verantwortung. Nur er habe ein wirtschaftliches Interesse daran gehabt, dass der Zeuge nicht aussagt. Marseilles Prozessverhalten hatte die Kammer in ihrer Auffassung zusätzlich bestärkt: Der Angeklagte, formulierte der Vorsitzende Richter süffisant, neige zu einem "extrem risikofreudigen Verhalten", dabei ginge eine "Unterschätzung der Risiken einher mit einer Überschätzung der eigenen Einflussmöglichkeiten".

In einer ersten Stellungnahme gegenüber dem Hamburger Abendblatt zeigte sich Marseille verärgert. "Das Urteil ist absurd." Für ihn ist das ganze Verfahren erst durch ein politisches Komplott in Gang gekommen. Marseille war bei der Landtagswahl 2002 der Spitzenkandidat der "Schill-Partei" in Sachsen-Anhalt. Seine Gegner hätten gezielt versucht, seinen Ruf zu ruinieren. Das zunächst eingestellte Ermittlungsverfahren gegen ihn sei ausgerechnet fünf Wochen vor der Wahl wieder aufgenommen worden. Wittert Marseille eine Verschwörung? "Zwei Seiten in der Verfahrensakte wurden amtlicherseits entfernt. Dort steht aber, wer die Anweisung gegeben hat, das Ermittlungsverfahren wieder aufzunehmen", so der Unternehmer.

In erster Instanz hatte das Amtsgericht Halle Marseille Ende 2006 freigesprochen. Doch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung. Der für seine Prozessierwut berüchtigte Unternehmer will keinesfalls aufgeben: "Ich gehe in Revision." Dem Prozess sehe er gelassen entgegen.