Vor mir sitzt ein kleiner Täufling, sichtlich vergnügt. In den Händen seines Vaters ein bunt bebildertes Büchlein. Wann immer der Vater eine neue Seite aufschlägt, gluckst die einjährige Tochter ausgelassen und zeigt auf alles, was sie dort erblickt.

Ihre Mutter und ich sind indes in ein Gespräch vertieft. Wer sie eigentlich zum Glauben gebracht habe, frage ich sie, und sie erzählt von ihrer Großmutter.

Eine fromme Frau, die nicht nur mit der schönen Kleidung, die sie vor jeder Bibelstunde anlegte, zeigte, wie wichtig ihr der Glaube war. Sie besaß auch zwei Bibeln. Eine ganz alte, die auf dem Nachtschrank lag und die ihre Enkel nur selten und mit großer Vorsicht anfassen durften. Und eine Kinderbibel. Die wurde von der Großmutter regelmäßig, aber immer nur für eine begrenzte Zeit, herausgegeben. Umso größer waren dann die Aufregung und Freude der Enkel, darin zu blättern und die Bilder und Geschichten in sich aufzusaugen. Eindrücke und Erlebnisse, die sich der Enkelin und heutigen Mutter fest eingeprägt haben.

Ich glaube gar nicht einmal, dass ihre Großmutter all dieses ganz bewusst gemacht hat, um ihre Enkel an den Glauben heranzuführen. Alles, was sie tat, kam von Herzen. Wahrscheinlich hat gerade dies ihren Glauben für ihre Enkelin so glaubwürdig gemacht. Doch - ob mit oder ohne Absicht der Großmutter - abzugucken gibt es von ihr jede Menge.

Sie hat selbst in dem Buch der Bücher gelesen und den Enkeln so gezeigt, was es ihr bedeutet. Und sie hat ihnen vermittelt, dass es zum Bibellesen immer auch eine Gemeinschaft braucht. Deshalb besaß sie nicht nur eine Bibel, sondern mehrere. Eine für sich selbst und eine für die Kinder. Eine, die ihr allein schon als Buch so heilig war, dass sie sie hütete wie einen Schatz. Und eine zum Anfassen, in der die Enkel blättern und die bunten Bilder bestaunen konnten.

Glaube braucht Vorbilder. Menschen, die ihn uns näherbringen. Glaube braucht Bücher, deren Worte und Bilder wir verstehen. Und Bücher brauchen Menschen, die sich die Zeit nehmen und anderen die Zeit geben, sie für sich zu entdecken. Menschen wie die Großmutter einst oder den Taufvater jetzt, der mit seiner freudig gestimmten Tochter immer noch fröhlich weiterblättert.

Pastorin Astrid Kleist, Kirchengemeinde St. Simeon in Alt-Osdorf. astrid.kleist@gmx.de