Genugtuung für Autofahrer: Oberstes Gericht erklärt Fortschleppen in der Nähe freier Parkplätze für übertrieben.

Im Gefängnis landen Menschen wegen Falschparkens gewöhnlich nicht. Aber Autofahrer dürften die zornige Romanfigur von Tom Wolfe verstehen, der auf den Fahrer des Abschleppwagens losstürmte, der sein Auto nach kurzer Zeit im Halteverbot an den teuren Haken gelegt hatte. Nun erhalten Kraftfahrer friedliche Genugtuung: Nach vier Jahren Rechtsstreit erklärte Hamburgs Oberverwaltungsgericht das Abschleppen eines Autos mit abgelaufener Parkscheibe zu einer übertriebenen Maßnahme - eine Entscheidung, die Folgen haben könnte für den oft als rigoros kritisierten Einsatz privater Abschleppfirmen. "Die Polizei wird vorsichtiger handeln müssen", sagt Anwalt Becker.

Im Juni 2005 wollte sein Mandant im Phoenix-Center in Harburg einkaufen und parkte auf dem Seitenstreifen der Hannoverschen Straße, dort sind zwei Stunden Parken erlaubt. Entgegen der Vorschrift legte er keine Parkscheibe ins Fenster und blieb von 10.15 Uhr bis 11.55 Uhr fort, wie aus dem Urteil hervorgeht, das dem Hamburger Abendblatt vorliegt. Ein Polizist rief einen Abschleppwagen, der den Wagen in den Autoknast brachte. Kosten: 255,92 Euro. Anwalt Martin Becker legte Widerspruch ein: Das Auto habe keine Behinderung und Gefährdung dargestellt, schließlich habe der Wagen nicht mal zwei Stunden dort gestanden, vor allem aber: Rund ums Phoenix-Center seien zahlreiche Plätze frei gewesen.

Die Polizei konterte: Der Wagen hätte ohne Parkscheibe dort nicht stehen dürfen. Laut interner "Anweisung" zählen zudem bei der Entscheidung, ob ein Schlepper gerufen wird oder nicht, nur freie Parkplätze "in Sichtweite" oder im Umkreis von 100 Metern. Der zentrale Punkt: Weil eine "Sicherstellung" von Autos nur gestattet ist, wenn sie die "öffentliche Ordnung" gefährden - was etwa bei Autos in Feuerwehrauffahrten eindeutig ist - wird das Gesetz bei überschrittener Parkdauer anders ausgelegt: Sind Plätze länger blockiert, kurven mehr suchende Autofahrer herum, was Sicherheit und Ruhe gefährdet. So seien laut Polizei auch gezielte Abschleppaktionen in der parkplatzknappen Innenstadt zu rechtfertigen: Angewohnheiten einiger Autofahrer, den Wagen den ganzen Tag abzustellen, widerspreche dem sozialen Gedanken, dass alle Bürger mal parken dürfen. Nur dass es am Phoenix-Center - wie auch in vielen anderen Teilen der Stadt - reichlich Parkplätze gibt. So sah es jedenfalls das Verwaltungsgericht, das immerhin ein knappes Jahr später gegen die Stadt urteilte, der Schlepper sei zu Unrecht gerufen worden. Ganz zu schweigen von der Fahrt in den Autoknast, weil nur ein Umsetzen in diesem Fall nicht angebracht gewesen wäre.

Es sollte aber noch drei Jahre dauern, bis der Streit vorbei war. Die Polizei wollte das Urteil nicht anerkennen, doch auch bei der höheren Instanz, dem Oberverwaltungsgericht, sah man die Sache nicht anders. Allerdings kam ein "Sahnehäubchen" hinzu, sagt Anwalt Becker. Laut Gericht sei es anderen Autofahrern nämlich zuzumuten, mehrere Hundert Meter zu laufen, sollten die Parkplätze direkt vor ihrem Ziel belegt sein. Vielleicht, sagt Anwalt Becker, ist die im Urteil erwähnte polizeiliche "Dienstanweisung", nur Parkplätze in Sichtweite bei einer Abschlepp-Entscheidung zu berücksichtigen, zu überprüfen. Die offizielle Stellungnahme der Polizei jedenfalls klingt so, als sei das nie anders gewesen: "Natürlich wird nicht abgeschleppt, wenn freie Plätze in der Nähe sind", sagte eine Sprecherin.