Ein neues Projekt ermöglichte Jugendlichen aus sozial schwächeren Familien einen Blick hinter die Kulissen.

Sie ist verzweifelt. Alle sehen in ihr nur das kleine Mädchen. Doch das ist sie nicht. Wann wird ihr endlich einmal jemand zuhören - "When will someone hear?" Ihre zarte Stimme verhallt im Raum. Zwei, drei Sekunden Stille - dann bricht der Applaus los. Sarah (15) lächelt und blickt schüchtern auf ihre Fußspitzen. Sie ist eine von 15 Jugendlichen, die eine Woche lang die Chance hatten, einen professionellen Musical-Workshop zu besuchen, den sie sich sonst nicht hätten leisten können.

Im Probenraum "New York", über den Dächern der Speicherstadt, in der Zentrale des Musical-Konzerns Stage Entertainment: "Das war sehr gut! Aber ich glaube, du kannst es noch besser", sagt Tilman Madaus zu Sarah, die das Lied "When will someone hear" aus dem Musical "Martin Guerre" gerade erst zum zweiten Mal vor der Gruppe gesungen hat. Der Schauspiellehrer versucht, mit der Schülerin aus Bargteheide eine Situation zu finden, die sie sich vorstellen kann - und die die Emotionen des Liedes einfängt. "Stell dir vor, ich bin dein Vater", versucht es Madaus, was bei den Jugendlichen für Gelächter sorgt. Der Profitrainer bleibt ernst, um vor Sarahs Augen das Bild zu erschaffen, das ihr helfen soll, die richtigen Gefühle in das Lied zu legen: "Dein Vater, dem du an den Kopf schmeißt: 'Don't decide for me' - misch' Dich nicht ein!" Sarah nickt. Paul Bayertz gibt am Klavier den Einsatz. Die Gruppe verstummt.

Sechs Tage, jeweils neun Stunden lang, standen für die Jugendlichen Gesang, Tanz und Schauspiel statt Faulenzen in den Ferien auf dem Programm. Die Stahlberg-Stiftung, überwiegend in der Förderung von Kultur und Jugend tätig und mit dem Projekt "Musical at School" bereits an Schulen aktiv, hatte zum ersten Mal Kinder aus sozial schwächeren Familien aufgerufen, sich für einen Workshop zu bewerben.

In Kooperation mit der Stage Entertainment ermöglichte sie ihnen so einen professionellen Kursus, der sonst 640 Euro pro Person kostet. "Jeder Schüler bekommt - neben den Gruppenkursen - abends einmal Gesangs-Einzelunterricht", sagt Constanze Klostermann, Leiterin der Joop van den Ende Academy.

Für die Jugendlichen eine unvergleichliche Erfahrung. "Die Tage sind schon anstrengend, aber auch richtig toll", schwärmt Sarah. "Das ist mein absoluter Traum. Ich werde Musical-Darstellerin, ganz sicher!" Auch wenn sie keines der großen Stücke, die in Hamburg gespielt werden, bisher gesehen habe: "Die sind leider ganz schön teuer."

Mike, der einzige junge Mann in der Gruppe, ist nicht minder begeistert: "Gestern Abend konnte ich nach dem Kurs gar nicht aufhören zu singen", sprudelt es aus dem Schüler aus Kaltenkirchen heraus. "Meine Mutter kam dann um Mitternacht in mein Zimmer und hat mich gestoppt." Mikes Wangen glühen. Gerade hat er vor der Gruppe "Any dream will do" aus Andrew Lloyd Webbers Musical: "Joseph And The Amazing Technicolor Dreamcoat" gesungen und getanzt. "Meine Mutter drängt mich immer, dass ich mir eine Ausbildungsstelle suche. Hier würde ich sofort anfangen!", sagt der Schüler, dessen Hobby Standard- und Lateintänze sind.

Nicht alle Eltern sind von dem Berufswunsch begeistert: "Ich mache ab September erst einmal ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kindergarten - mein Vater sagt immer, mit Musicals verdient man nichts", sagte Judith (16) aus Allermöhe. Doch für die vergangene Woche war sie Teil der Musical-Welt - "Part of your world" , wie ihr Lied aus Disneys Musical "Arielle" bezeichnenderweise hieß.

Gundi Hauptmüller von der Stahlberg-Stiftung ist mehr als zufrieden: "Das Engagement der Jugendlichen - es ist einfach phänomenal."