Von ihren historischen Krimis, die im 18. Jahrhundert spielen, hat die erfolgreiche Autorin fast eine Million Exemplare verkauft.

Hamburg. Petra Oelker ist 62, und in einem ist sie sich mittlerweile ganz sicher. "Wenn das Glück so spät zu einem kommt, dann kann man es besonders intensiv genießen." 50 Jahre war sie alt, als sie ihren ersten historischen Hamburg-Kriminalroman "Tod am Zollhaus" veröffentlichte. Jetzt, zwölf Jahre später, ist der neunte Band der Reihe um die Wanderkomödiantin Rosina erschienen - "Die Schwestern vom Roten Haus" (Rowohlt, 8,95 Euro) erzählt die rätselhafte Geschichte einer Frau, die nach einem Karnevalsball im Februar 1773 tot aus der Alster geborgen wird.

Knapp eine Million Exemplare hat Petra Oelker von ihren sämtlich im 18. Jahrhundert angesiedelten Kriminalgeschichten bislang unter das Lesevolk gebracht. "Unglaublich!", sagt sie lachend an diesem Nachmittag im Café des Hamburger Literaturhauses, als könnte sie es selbst nicht glauben, wie das Glück über sie kam.

"Doch warn' ich dich, dem Glück zu trauen", hat Friedrich Schiller einmal gesagt - und damit ebenjenen Geist benannt, dem Petra Oelker traut. "Ist man jung, dann denkt man häufig, Glück zu haben sei völlig normal. Aber das ist es nicht." Eine Lebensphilosophie, die lange währen musste, bis alles gut zu werden begann.

Als Tochter eines Försters in der niedersächsischen Kreisstadt Cloppenburg aufgewachsen, studierte sie nach dem Abitur in Hamburg Sozialpädagogik, machte Projektarbeit mit Kindern und Rockern, später mit alten Menschen, auch in Kneipen verdiente sie sich ihren Unterhalt. Als in den politisch bewegten 70er-Jahren die Idee entstand, auch in Hamburg - neben der Berliner "taz" - eine unabhängige Zeitung ins Leben zu rufen, war Petra Oelker, als Kind ihrer Zeit sozial und engagiert, dabei. Wenngleich das eher zufällig geschah, denn eigentlich suchte sie nur irgendeinen Job bei der "Hamburger Rundschau", die 1981 erstmals erschien. Doch schnell entdeckte man dort ihr Schreibtalent - so begann ihre journalistische Karriere, die sie später auch zur "taz" und zur "Brigitte" führte.

Die rein journalistische Form war nicht genug, Lebensgeschichten hatten es Petra Oelker angetan. "Die Neuberin" erschien 1993, die große Biografie über die erste bedeutende deutsche Schauspielerin Friederike Caroline Neuber, die in jener Zeit lebte, die Petra Oelkers belletristisches Schreiben beherrschen sollte: das 18. Jahrhundert. Und die Neuberin, wie sie in Theaterkreisen genannt wurde, sollte Vorbild werden für die Figur der Wanderkomödiantin Rosina, die sich Petra Oelker auserkoren hat als Heldin ihrer historischen Hamburg-Krimis.

"Ja, diese Sehnsucht nach dem Vagabundieren", sagt Petra Oelker ein wenig nachdenklich und nippt an ihrem Tonic-Wasser. "Diese Sehnsucht habe ich auch in mir getragen." Das Herumziehen, Sich-treiben-Lassen, Immer-auf-der-Suche-Sein nach etwas Neuem, nach Veränderung, nach einer besseren Welt, letztlich und endlich. Vorsichtig stellt sie das Glas zurück auf den Tisch. "Aber ich bin sesshaft geworden."

Seit gut 20 Jahren wohnt sie in einer ruhigen Seitenstraße in Winterhude, oben unter dem Dach, wo die Gedanken fliegen können, zurück in die Welt ihrer Romane, die Welt des 18. Jahrhunderts, diesem Jahrzehnt unter dem Stern der Aufklärung.

Die Entwicklung hin zum selbstständigen Denken des Bürgertums, die Entdeckung der eigenen Kultur, sich emanzipieren von der Vormundschaft der Kirche - das alles hat die Frau, die aus der Provinz in die große Stadt gekommen ist, immer fasziniert. "Noch eine Schale abmachen und schauen, was dahintersteckt", nennt sie das - und erzählt damit von ihrer eigenen Biografie, von der Suche, die sie in ihren frühen Jahren umtrieb, von der Rebellion. Insofern ist die aufrührerische Rosina der Romane auch eine Art projektives Alter Ego der Petra Oelker.

Aber könnte sie sich vorstellen, dort zu leben, im 18. Jahrhundert? "Nein, leben nicht, höchstens mal kurz zu Besuch sein." Keine Perspektive hätte sie für sich damals gesehen. "Ich wäre vermutlich eine Magd gewesen, mit 18 geschwängert worden und längst tot."

Vor allem wegen der miserablen hygienischen Verhältnisse in jener Epoche hätte sie dort niemals leben mögen. "Es ist wunderbar, den Wasserhahn aufdrehen zu können, das Wasser kommt sprudelnd heraus und sauber." Auf dem Land in den 50er-Jahren hat sie das Trinkwasser noch mit der Milchkanne geholt. Nicht selten war das Wasser aus der Pumpe rot vor Rost. "Ich weiß, was es bedeutet, nicht alles zu haben."

Prägend waren jene frühen Jahre allemal für Petra Oelker. "Immer wenn ich aufs Land fahre, tickt es ruhiger in mir", erzählt sie, während auf dem Schwanenwik vor dem Literaturhaus der Feierabendverkehr rauscht. Die Sehnsucht zur Natur ist ihr in die Wiege gelegt. Bevor vor zwei Jahren ihr Roman "Tod auf dem Jakobsweg", der im Sog von Hape Kerkelings "Ich bin dann mal weg" natürlich auch ein Erfolg wurde, erschien, begann sie zu wandern - zuerst auf dem Jakobsweg, seitdem regelmäßig jedes Jahr auf wechselnden Routen. Kürzlich im Mai wanderte sie von Genf aus auf dem Europawanderweg 65 - gut 350 Kilometer in zweieinhalb Wochen. Insofern ist Petra Oelker immer auf der Suche.

"Glück ist die Abwesenheit von Schmerzen", sagt ein chinesisches Sprichwort. Wanderer können das nicht bestätigen.