Die Zahl der Hamburger, die sich mit leistungssteigernden Pillen aufputschen, wächst. Stressfaktor Nummer eins ist der Job.

Hamburg. Die Hamburger sind von allen Deutschen am häufigsten psychisch krank. Zu diesem Ergebnis kommen die aktuellen Gesundheitsberichte der Hamburger Krankenkassen. Bundesweit lagen psychisch bedingte Fehlzeiten 2008 erneut acht Prozent höher als im Vorjahr. Bei der Barmer Ersatzkasse gingen vergangenes Jahr mehr als ein Viertel aller Krankschreibungen auf psychische Probleme zurück. Während die Krankheitsdauer bundesweit bei durchschnittlich 39,1 Tagen lag, fehlten die betroffenen Hamburger im Schnitt 44,5 Tage. "Das ist ein besorgniserregender Anstieg", sagt Wolfgang Klink, Sprecher der Barmer Hamburg. Vor zwei Jahren seien es nur 36,4 Tage gewesen.

"Stressfaktor Nummer eins ist der Job", sagt John Hufert von der Techniker Krankenkasse (TK). Jeder dritte Berufstätige arbeite am Limit. Auch Hausfrauen fühlen sich enorm belastet, hat die TK in einer Stressstudie herausgefunden. Vier von zehn Hausfrauen seien in körperlichem und psychischem Dauerstress. "Dabei spielen Kindererziehung und die Sorge um die familiären Finanzen die Hauptrollen", sagt Hufert. "Außerdem leidet jede zweite darunter, eigene Bedürfnisse zugunsten der Familie zu vernachlässigen."

Helmut Peter, Chef des Medizinischen Versorgungszentrums Verhaltenstherapie Falkenried, sieht einen klaren Zusammenhang zwischen Stress und Depressionen. Arbeitsplatzverdichtung führe dazu, dass das Betriebsklima rauer werde, Kollegen zu Konkurrenten würden. "Aus Angst um ihren Arbeitsplatz melden sich immer weniger Menschen krank", sagt der Psychiater. "Statt sich zu Hause zu regenerieren, arbeiten sie weiter - trotz Erkältung oder Erschöpfung." Unter Einfluss des Stresshormons Cortisol, das Auswirkungen auf psychologische und biologische Leistungsfähigkeit habe, gerieten manche dann in ein depressives Muster.

Alarmsignale für eine Depression können Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und Infektanfälligkeit sein. So wie bei Renate Beyer (43, Name geändert), Pastorin und alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Eineinhalb Jahre hat sie an den Grenzen ihrer Belastbarkeit gelebt, wurde häufig krank, war nicht mehr leistungsfähig. Erst verspürte sie eine "große seelische Unzufriedenheit", dann kam der psychische Zusammenbruch, der sogenannte Burn-out. "Es ist, als klettere man eine Steilwand hoch", beschreibt die Frau das Gefühl. "Man denkt bei jedem Schritt, es sei der letzte, und man sei gleich oben. Doch die Wand baut sich immer weiter vor einem auf. Und unter einem gähnt immer der Abgrund." Renate Beyer wurde in eine Tagesklinik eingewiesen - und ist jetzt auf dem Weg der Besserung. Viele Menschen versuchen jedoch, Stress in Job oder Familie auf eigene Faust zu bekämpfen.

So hat die DAK herausgefunden, dass 2008 rund 22 000 Hamburger wegen psychischer Belastungen am Arbeitsplatz regelmäßig zu konzentrationssteigernden oder beruhigenden Mitteln gegriffen haben. "Hierbei handelt es sich nur um Berufstätige, die sich ihre Medikamente selber besorgen und nicht in ärztlicher Behandlung sind", sagt Sprecher Rainer Lange. Insgesamt sei die Zahl derjenigen, die wegen Stress zur Pille griffen, noch höher - Tendenz steigend.