Liebe Redaktion!

Die Forderung des Herrn Lenders nach Verbot des Schanzenfestes wegen zu erwartender Gewalttätigkeiten ist sehr interessant. Wann verbietet der Senat Bundesligaspiele? Wann wird der G8-Gipfel verboten? Wann wird der 1. Mai abgeschafft? Wo ist die Grenze? So einseitig dürfen möglicherweise Gewerkschaftsfunktionäre denken. Verantwortliches Führungspersonal hat da andere Pflichten.

Mit freundlichem Gruß

Andreas Kaluzny

Sehr geehrter Herr Kaluzny,

haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief - gerade weil ich zugeben muss, dass er ein paar Widerhaken enthält, denen ich mich nicht entziehen konnte.

Denn mein erster Reflex auf Ihre Zeilen war nicht ohne Sympathie in der Sache. Ein Fest zu verbieten, wie dies der von Ihnen kritisierte Chef der Gewerkschaft der Polizei fordert, hat immer den Beigeschmack der ohnmächtigen Dampfhammermethode staatlicher Machtausübung. So etwas kennen wir von ferneren Ländern, aus denen wir gerade in letzter Zeit wieder öfter berichten. Und meist finden die dortigen Machthaber und Fest-Verbieter nicht unseren Beifall.

Und dennoch: Die Widerhaken gegen diesen ersten Reflex stecken natürlich in den von Ihnen gut ausgewählten Präzedenzfällen staatlicher Spielverderberzurückhaltung. Denn was haben Schanzenkrawalle und Fußballspiele gemein? Nun ja, möglicherweise jene einfache Dichotomie aus denen, die feiern - und denen, die fackeln! Beim Fackeln sind sich die meisten von uns einig: Für eine moderne, freiheitliche Gesellschaft, einen Rechtsstaat, kann das keine Form des Betragens sein, schon gar nicht der politischen Auseinandersetzung. Daraus folgt, dass wir vom Staat die Erfüllung seiner wichtigsten Aufgaben verlangen können, nämlich die Wahrung der inneren Sicherheit (wozu nebenbei selbstverständlich auch der Schutz der Veranstaltungen derjenigen gehört, die friedlich feiern wollen). Was aber passiert, wenn die Grenze zwischen den Feiernden und Fackelnden verwischt? Diesen Vorwurf kann man den meisten Veranstaltern von "Bundesligaspielen und G8-Gipfeln" wohl kaum machen: Die Liga will kicken, und die Damen und Herren der G8 wollen sich halt mal wieder ruhig und medienwirksam aussprechen. Wie ist das aber beim Schanzenfest? Haben wir wirklich den Eindruck, dass die Trennung hier noch funktioniert - zwischen denen, die ein paar wackelige Bakelit-Telefone auf einem Flohmarkt verkaufen, und den anderen, die ein paar Molotowcocktails in neue Schaufenster und die Gesichter junger Polizisten werfen wollen? Und wenn es diese Grenze denn gibt: Warum findet sich dann kein verantwortlicher Veranstalter des Straßenfestes, der sich von der Gewalt und den Gewalttätigen eindeutig distanziert?

"Homo homini lupus est", beschreibt der englische Staatstheoretiker und Philosoph Thomas Hobbes das so treffend, was viele der Gewalttäter offensichtlich anstreben: In der Anarchie, wenn die Staatlichkeit wankt, ist "der Mensch dem Menschen ein Wolf". Und in diesen "Naturzustand", in dem sich jeder sein Recht nimmt, und sei's auf Kosten des anderen, wollen wir auch in Hamburg nicht zurückfallen. Auch nicht rund um die Schanzenstraße. Wer weiß: Vielleicht muss man dafür ein solches Fest auch einmal verbieten. Um die Feiernden vor den Fackelnden zu schützen - oder zumindest, um sie wieder klar voneinander unterscheiden zu können.

Herzlichst,

Ihr Claus Strunz