Ein Paradies war die Billstedter Siedlung Sonnenland nie: Eine Schlucht aus vier- bis achtgeschossigen Häusern. Die Wohnungen sind klein, die Balkons erst recht.

In manchen Vorgärten haben sich Bastler verwirklicht: Bretterbuden gebaut, Lauben gezimmert, kleine Stückchen Freiheit geschaffen. Es ist eine Kulisse, in der nicht wenige Bewohner und Besucher sich fühlen wie in einem Getto. Nicht wenige, die hier wohnen, sind aber auch stolz auf ihre Nachbarschaft. Sie sagen: Früher war es hier noch viel schlimmer.

Am 21. April hat die Polizei die Sonderkommission (Soko) "Sonnenland" gegründet. Es ist Hamburgs einzige Soko, die sich um Gewalthäufungen in einem Stadtteil bzw. einem Quartier kümmert. Sie umfasst 16 Beamte. Ihr Chef ist Ulrich Kondoch, Revierführer der Billstedter Wache. Hintergrund der außergewöhnlichen Maßnahme: die ermittelte Existenz einer Bande von rund 40 jungen Männern im Alter von 20 bis 25 Jahren. Fast durchgehend handelt es sich laut Polizei um Intensivtäter. Sie sollen Handel mit Drogen betreiben, mit ihren Autos durch die Straßen rasen und in Schlägereien verwickelt sein. Die Bande sei hierarchisch strukturiert, heißt es. Der Chef soll regelmäßig in einem VW Phaeton durch den Stadtteil rollen - und Respektbezeugungen entgegennehmen.

Nachdem die Polizei im vergangenen Jahr mehrere Straftäter aus kleineren Gruppen festgenommen hatte, schlossen sich, so die Ermittler, verbleibende Mitglieder zusammen, um gemeinsam gegen "Eindringlinge" vorzugehen. Zeugen, die bei der Polizei gegen die Männer aussagten, schwiegen im Gericht oder widerriefen ihre vorher gemachten Aussagen. Wurden sie bedroht? Die Polizei geht davon aus. "Es ist wiederholt auch versucht worden, Beamte einzuschüchtern", sagt Polizeisprecher Andreas Schöpflin.

René M. (15, Name geändert) kennt die Chefs jener Gang, die den Stadtteil beherrschen soll, nicht. Er sagt aber: "Natürlich geht hier viel. Aber wenn, dann gemeinsam gegen andere Stadtteile. Wir dürfen uns nichts gefallen lassen." Hauptfeindbild ist "Hamburg- West", wie René sagt: Gangs aus Lurup, Osdorf, Eidelstedt. Gegen die wird dann auch schon mal der Totschläger eingesetzt. Die Machete, die er noch besitzt, habe er noch nicht benutzt, benutzen müssen, sagt der 15-Jährige. Er bemängelt vor allem, dass man im Sonnenland und in der Umgebung als Jugendlicher keinen Anlaufpunkt habe. "Chillen", sagt René auf die Frage, was er und seine Kumpels nachmittags, nachts und abends tun. Frei übersetzt heißt das: saufen, kiffen, prügeln.

"Es gibt kein Angebot für Jugendliche", bestätigt Jürgen Wolff (53), ehrenamtlicher Betreuer beim "Stadtteilprojekt Sonnenland". Dem Verein waren 2007 sämtliche Zuschüsse gestrichen worden. Stattdessen übernahm ein anderer Träger die soziale Arbeit. Er kümmert sich hauptsächlich um Familien und Kinder. Jetzt hat das Stadtteilprojekt wieder etwas Geld bewilligt bekommen. "Nicht genug, um die Jugendlichen therapeutisch begleiten zu können", sagt Wolff. "Damals hatten wir die harten Jungs gut im Griff. Das ging dann nicht mehr."

Karl-Heinz Warnholz (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses, hat nun, ebenso wie die SPD-Abgeordneten Andreas Dressel und Philipp-Sebastian Kühn, Anfragen an den Senat über die Hintergründe der Soko-Gründung gestellt. Warnholz zeigt sich von dem Vorgang überrascht. "Der Innenausschuss hat erst durch die Medien davon erfahren." Überrascht war auch Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber: "Es hat mich geärgert, dass ich davon nichts wusste." Auch von der Entwicklung in Billstedt sei ihm nichts bekannt. "Der Revierführer war vor wenigen Wochen im Regionalausschuss geladen, um über die polizeiliche Lage zu sprechen. Von diesen Entwicklungen hat er nichts erwähnt."

Vor wenigen Tagen hatte es eine dreiteilige Reportage auf einem Privatsender gegeben, in der eine "Sonnenland-Gang" porträtiert wurde. Die jungen Männer hatten offenbar nichts dagegen, gefilmt zu werden.