Dem 40-jährigen Hamburger fehlt manchmal der Blick hinaus über die Stadtgrenzen.

Boyke Christensen (40) ist mit dem Abendblatt aufgewachsen. Quasi vom ersten Tag seines Lebens an habe ihn und seine Familie die Zeitung begleitet, sagt der in Hamburg geborene Bankangestellte. Jeden Morgen lese er auch heute noch das Abendblatt und unterhalte sich mit seiner Freundin häufig über die dort abgedruckten Texte. Deshalb auch die spontane Reaktion, sich als Blattkritiker zu bewerben. "Dass ich schon heute hier sitze, finde ich ausgesprochen gut. Ich hätte nicht wirklich damit gerechnet, ausgewählt zu werden."

Selbstbewusst präsentiert Christensen wenig später seine Meinung vor der Chefredaktion und den Redakteuren. Kritik übt der studierte Betriebswirt an der Positionierung einzelner Texte in der Zeitung. "Mir fehlt manchmal eine klare Linie", sagt Christensen, der jeden Tag etwa eine Stunde im Abendblatt liest. Warum stehe beispielsweise eine Meldung über den italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi auf der letzten Seite und nicht in der Politik? Warum mischen sich auf einer Politikseite innen- und außenpolitische Themen? Und warum gibt es im Lokalteil keine klare Gliederung beispielsweise nach kommunalpolitischen Themen und Berichten aus den Bezirken?

Den Wirtschaftsteil findet Christensen nicht umfangreich genug. "Hier fehlen mir hintergründige und auch investigative Stücke. Hinterfragen Sie mehr!", fordert er. Genauso wünsche er sich im Politikteil mehr Berichte aus dem Ausland. "Es gibt so viel Interessantes, gerade über die angrenzenden Staaten." Deshalb habe ihm in der Ausgabe von Montag der Text über die Wahl in Island so gut gefallen. Im Sport stört den ehemaligen Handballspieler die starke Fokussierung auf die Fußball-Bundesligamannschaft vom HSV. "Ich verstehe nicht, warum hier am Montag mit einer Geschichte über ein Spiel von Sonnabendnachmittag aufgemacht wird", so Christensen. Dabei sei doch am gleichen Wochenende beispielsweise der THW Kiel Deutscher Handballmeister geworden. "Ist das nicht die aktuellere Geschichte als ein verlorenes Spiel des HSV?"

Besonders gerne liest Christensen am Sonnabend die Gespräche von Heike Gätjen mit interessanten Menschen im Wochenend-Journal. Den Kulturteil findet der Banker ausgewogen und umfangreich.

Lob findet Christensen, der lange in Husum lebte und in Kiel studiert hat, vor allem für die vergrößerte Norddeutschlandseite. "Das ist wirklich ausgesprochen gut gelungen", sagt er. Denn schließlich sei Hamburg mehr als nur der Hafen, St. Pauli und Ole von Beust. "Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen" stehe ja nicht umsonst auf der ersten Seite des Abendblatts. "Steigen Sie auf den Michel und schauen Sie weit über die Stadt hinaus", sagt er. "Dann sehen Sie, was noch alles dazugehört."

Chefredakteur Claus Strunz freute sich über die Anregungen des Bankers. "Sie haben wichtige Punkte angesprochen", so Strunz zu der Blattkritik. "Viele Themen, wie die Struktur des Blattes, stehen schon lange auf unserer Agenda; sollten uns aber noch mehr beschäftigen." Das Hamburger Abendblatt suche bewusst den Dialog mit seinen Lesern. "Denn wir wollen die Zeitung mit ihrer Hilfe besser machen und behutsam modernisieren."