Der Ex-Parteivorsitzende fürchtet bei einer strikten Ablehnung der Reformpläne um Wählerstimmen.

Die SPD steht vor einer neuen Strategiedebatte in der Schulpolitik. Die zentrale Frage lautet: Soll es bei der Ablehnung der schwarz-grünen Schulreform bleiben, oder muss die Partei ihre Position zur sechsjährigen Primarschule neu bestimmen, um nicht dauerhaft fortschrittliche Wähler zu verlieren?

Ausgelöst hat die Debatte der frühere SPD-Vorsitzende Mathias Petersen. Der Arzt aus Altona hatte in einem Gastbeitrag für das Abendblatt geschrieben, dass die derzeitige SPD-Linie "nicht vermittelbar" sei. Langfristig wolle die Partei mit der "Schule für alle" längeres gemeinsames Lernen bis zur zehnten Klasse, lehne aber die Primarschule als ersten Schritt dahin ab. Petersen, der die Primarschulidee unterstützt, fürchtet, dass sich die Partei "durch die jetzige Fundamentalopposition ins Abseits manövriert" und Wähler aus den Gewerkschaften und dem linksliberalen Spektrum verliert.

Petersens Beitrag sorgte bei der SPD-Führung für massive Verärgerung. "Ich hätte es besser gefunden, wenn Mathias Petersen seine Kritik in der Fraktion eingebracht hätte. So etwas gehört in die Gremien der Partei", sagte SPD-Chef Ingo Egloff. Am Montagabend hätten die SPD-Abgeordneten über die Schulreform diskutiert. "Leider war Mathias Petersen nicht dabei", so Egloff.

Der Landesvorsitzende verweist auf einen Parteitagsbeschluss aus dem vergangenen Jahr. Damals hatte die SPD die schwarz-grüne Primarschulreform in der vorliegenden Form als "Irrweg" bezeichnet. An dieser Einschätzung habe sich nichts geändert. "Aber wir sind keine politischen Autisten. Wir müssen die politische Entwicklung beobachten", sagte Egloff. "Im Moment gibt es aber keinen Grund für hektisches Umsteuern in irgendeiner Weise."

Die Debatte über die Ausrichtung der SPD in der schulpolitischen Grundfrage des längeren gemeinsamen Lernens trifft die Partei zur Unzeit. Als Opposition müsste die Partei eigentlich nur zusehen, wie sich CDU und GAL derzeit bemühen, die Reform zum Erfolg zu führen. Aber manchen Sozialdemokraten geht der Mehrheitskurs der Partei gegen die eigene, über Jahre gewachsene und vertretene bildungspolitische Überzeugung.

Öffentlich deutlich wurde der interne Konflikt erstmals mit der Wahl der früheren Schulsenatorin Rosemarie Raab zur Vorsitzenden des SPD-Arbeitskreises für Bildung. Raab fordert eine Neubestimmung des Verhältnisses der SPD zur Primarschule. Gespeist wird der Konflikt auch aus dem Gefühl von Parteilinken, programmatisch und personell in letzter Zeit zu kurz gekommen zu sein. Die Primarschule dient da als Projektionsfläche für die innerparteiliche Profilierung.

Aktueller Anlass für die weitere Zuspitzung des Konflikts ist die Demonstration gegen die Primarschule vom vergangenen Wochenende. Einige SPDler halten es wie Petersen für einen Fehler, dass Fraktionschef Michael Neumann und Fraktionsgeschäftsführerin Britta Ernst an dem Protest der strikten Reformgegner teilgenommen haben.

Nach Informationen des Abendblatts hat die Fraktionssitzung am Montag ergeben, dass die große Mehrheit der Abgeordneten am Nein zur Primarschule derzeit festhalten will. Als Opposition dürfe die SPD jetzt nicht der Koalition die Arbeit erleichtern, indem sie dem Senat die Hand zum Kompromiss reicht.

Aber Petersen hat den Finger in die Wunde gelegt: Es ist der ungelöste Konflikt der SPD, wie sie es mit der Schulstruktur hält. Ein Teil, vorwiegend die Parteilinke und der Gewerkschaftsflügel, wollen möglichst schnell die Schule für alle und sind für den Zwischenschritt der Primarschule. Die anderen setzen auf einen Überzeugungsprozess von zehn bis 15 Jahren bis zur Schule für alle. Manche wollen diese Schulform aber auch gar nicht.

Ties Rabe, den schulpolitischen Sprecher, packt bisweilen der Galgenhumor. "Ich halte mich an die Beschlüsse der Partei. Manchmal kommt mir das aber so vor, als ob man auf einem Jägerzaun balanciert", sagt Rabe.