Organisierte Kriminalität: Im Dezember 1976 trafen die US-Bosse den Paten von St. Pauli

Als die Mafia nach Hamburg kam

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Matthias Rebaschus

Kiezgröße und Pate Wilfrid "Frida" Schulz sollte das Glücksspiel nach Mafia-Art organisieren: mit falschen Würfeln.

Eine denkwürdige Begegnung im Atlantic Hotel. Mit leiser Stimme stellt sich Kriminaloberrat Wolfgang Sielaff an der Rezeption vor. Sielaff arbeitet im Auftrag einer Sonderkommission der Staatsanwaltschaft und fragt nach einem Treffen, das lange zurückliegt. "Wen hat Wilfrid Schulz am 18. Dezember 1976 im Atlantic getroffen?"

Sielaff erinnert sich heute noch gut an die Begegnung im Jahre 1980, die später auch ausschlaggebend wurde für den Aufbau einer neuen Spezialeinheit bei der Hamburger Kripo - der heutigen OK-Abteilung (OK steht für organisierte Kriminalität).

"Ach, Sie meinen die Herren von der Mafia?", fragte der Empfangschef. Was nach einem Witz klang, war die Wahrheit. Und es war die erste Spur, die ein Hamburger Polizist aufnahm, um herauszufinden, ob das organisierte Verbrechen in unserer Stadt Fuß gefasst hatte. Eine Spur, die schnell heiß wurde und in die Wohnstuben der US-Mafiosi führte. Auf den Meldezetteln vom 18. Dezember 1976 des Atlantic Hotels standen Namen, die den Kripo-Mann elektrisierten: Dino Cellini, Freddy Ayoub und Joseph Nesline - Falschspieler und Mafiabosse.

Mafiabosse zu Besuch in Hamburg, um den St.-Pauli-Paten zu treffen! "Ich war völlig perplex", sagt Sielaff heute. Eine spezielle Arbeitsmethode hatte den Kripo-Mann auf die Spur gebracht. Bis Ende der 70er-Jahre wurde die Kriminalität in Hamburg "deliktisch" bekämpft. Das heißt: Nur nach einer Anzeige oder einer offensichtlichen Straftat reagierte die Polizei. Jetzt, da man sich entschloss, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen, handelte die neue Spezialgruppe der Kripo unter dem Motto "Aktion statt Reaktion" - "Erkenntnisgewinnung durch systematische Informationsbeschaffung", mithilfe der "Verdachtschöpfung" im "deliktischen Vorfeld". Und man ermittelte jetzt "personenorientiert".

Was bürokratisch klingt, bedeutete im Jahr 1980: Sielaffs Truppe recherchierte auch in Aktenordnern. Ein Ordner betraf einen Mann, der damals als Pate St. Paulis galt: Wilfrid Schulz. Das Rotlicht war deutsch. Schulz wurde "Frida" genannt und erschien wie in einer billigen Komödie: mit Zigarre, gestreiftem Jacket und dickem Goldschmuck.

Im Aktenordner hatte jemand für den 18. Dezember 1976 vermerkt, dass "Frida" während seiner eigenen Geburtstagsfete einen Anruf erhielt und sofort das Fest Richtung Atlantic Hotel verließ. Das war ungewöhnlich, denn in der Regel war Schulz derjenige, der die Puppen tanzen ließ. Es musste also etwas Wichtiges passiert sein. "Frida" ging in die Hamburger Kriminalgeschichte ein als einer der wichtigsten Drahtzieher im Geschäft um Sex und Glücksspiel. Als einer, der brutal durchgriff - aber einer "Ganovenehre" folgend, Gegnern nur "Denkzettel" verpasste. So war ein Messerstich in den Hintern ein Denkzettel, der unter dem Begriff "antöten" lief. Legendär war die Vertreibung eines Wiener Zuhälter-Bosses, dem man sieben Messerstiche verpasste und den man dann vor dem Hafenkrankenhaus ablegte.

Zurück ins Hotel Atlantic. "Fridas" Tarnung war damals perfekt. Alle glaubten, er reiste nur als Box-Promoter so häufig in die USA. Keiner sah darin die Spur zur Mafia. Doch noch eine weitere Angabe des Empfangschefs elektrisierte Wolfgang Sielaff damals. Einer der "Herren von der Mafia" sei ab und zu in der Hotel-Sauna. Das sei "Bill", und der hätte auch eine blonde, deutsche Freundin.

Schnell war Bills Versteck und so die Identität von William Ray Davis gefunden. "Es war wie ein Schatz, den man nur heben musste", sagt Sielaff heute. Denn Bill hatte in Hamburg seinen "Ruheraum". Als international tätiger Falschspieler arbeitete er nur in einem Land nicht - das war Deutschland.

In Deutschland sollte "Frida" Schulz das Glücksspiel wohl nach Mafia-Art organisieren: mit falschen Würfeln. Das sprengte damals die Vorstellungskraft der Polizei. Heute sagt Sielaff: "Die US-Mafia war dabei, einen Schritt nach Hamburg zu machen." In Hamburg tauchte "Bill" immer wieder wochenlang bei seiner Freundin Ursula Schäfer (Name geändert) unter. Doch bald wurde "Bill" in Monte Carlo verhaftet, als ihm (nach dem Gewinn von 13 Millionen US-Dollar) ein fünftes As aus dem Ärmel rutschte. Er saß im Gefängnis von Marseille. In Hamburg versuchte Fräulein Schäfer alles Mögliche, um ihren Bill herauszupauken.

Für die Hamburger Kripo war Bill geplatzt. Doch US-Polizisten hörten mit Entzücken die Telefonate von Ursula Schäfer mit. Denn die Dame schaffte es, die Mafiabosse der Ostküste an die Leitung zu bekommen. So wurden Mafiastrukturen deutlicher.

Die Hamburger Polizei erreichte anfangs nur wenig. 1982 verhaftete sie "Frida" unter dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Doch es kam nicht zur Anklage. Denn Bill wurde nicht ausgeliefert, weil er in Deutschland nicht belangt werden konnte. Der Auslieferungsantrag wurde abgelehnt. Bill hatte alle Straftaten im Ausland begangen. In Hambung hatte er sich mit "Frida" nur getroffen.

Wilfrid Schulz kam jedoch kurz darauf wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis. Als er später entlassen wurde, war sein Imperium zerschlagen. Heute weiß man: Die US-Mafia konnte in Deutschland nicht aktiv werden, weil ihre Partner "Bill" und "Frida" im Gefängnis saßen.

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