Sieben Tote, eine Waffe - die Spur des Mörders

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Christian Denso

Motiv Rache? Seit fünf Jahren werden in Deutschland zumeist türkische Ladenbesitzer gleichsam hingerichtet. Einer in Hamburg. Alle mit derselben Pistole. Und täglich könnte der unheimliche Serientäter wieder schießen . . .

Hamburg. Diesmal kommt der Mörder kurz nach Ladenschluß. Theodorus Boulgarides (41) steht allein hinter dem Tresen seines kleinen Schlüsseldienstes im Münchner Stadtteil Schwanthalerhöhe. Drei Kugeln zerfetzen das Gesicht des Griechen, als der Unbekannte aus nächster Nähe auf ihn schießt. Sein Geschäftspartner findet Boulgarides Minuten später in einer Blutlache. "Wir haben es mit einem kaltschnäuzigen Verbrecher zu tun. Die Tat trägt Züge einer Hinrichtung", wird der Münchner Oberstaatsanwalt Peter Boie am nächsten Morgen sagen. Noch bevor er weiß, wie recht er hat.

Per Kurier gehen die Kugeln noch in der Nacht in das Labor des Bundeskriminalamts in Wiesbaden. Schon am Tag danach, um 16 Uhr, bringt der Schußwaffenabgleich Gewißheit. Die Projektile, die den Mann, den seine Freunde nur Theo nannten, getötet haben, stammen aus einer Pistole der Marke Ceska, Kaliber 7,65 Millimeter. Es ist dieselbe Pistole, mit der bereits sechs türkische Kleinunternehmer in Deutschland umgebracht worden sind. Darunter ist auch ein 31jähriger aus Hamburg-Bahrenfeld. "Solch eine Serie hat es unseres Wissens seit Kriegsende in Deutschland nicht mehr gegeben", sagt Peter Grösch, Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken in Nürnberg, das in der Serie federführend ermittelt. Eine Pistole, sieben Morde, sieben Rätsel.

Seit fast fünf Jahren zieht sich die blutige Spur des Serienkillers durch Deutschland. Seine Opfer sind immer Kleinunternehmer. Seine Handschrift ist immer gleich: Er tötet tagsüber, geht eiskalt vor. Seine Opfer sind im Moment des Todes allein. Sie sterben durch Kopfschüsse. Sie alle wurden wahrscheinlich vor ihrem Tod bedroht, Zeugen wollen in mehreren Fällen Streit gehört haben. Und sie alle waren bis zu ihrem Tod "völlig unauffällige Menschen, die bei Kunden und Nachbarn beliebt waren", wie die Ermittler sagen.

40 Beamte zählt die Sonderkommission "Halbmond" in Nürnberg mittlerweile, noch einmal 20 Beamte ermitteln im Mordfall Boulgarides in München. Mehr als 100 Hinweise gingen ein. Bislang aber stochern die Fahnder im Nebel. Und wissen dabei: Wahrscheinlich schlägt der Serienmörder wieder zu. Vielleicht erst in zwei Jahren, vielleicht schon heute.

Alles begann am 9. September 2000, einem Sonnabend. Enver Simsek hat wie fast jeden Tag an der Liegnitzer Straße in Nürnberg seinen Stand geöffnet, an dem er Blumensträuße verkauft. Gegen 13.15 Uhr entdecken Passanten den Händler blutüberströmt im Laderaum seines Lieferwagens. Acht Kugeln haben Kopf und Körper durchlöchert. Nach zwei Tagen erliegt Simsek seinen Verletzungen.

Neun Monate später, am 13. Juni 2001, stirbt ebenfalls in der fränkischen Metropole Abdurrahim Özüdogru. Zwei Kopfschüsse strecken den Änderungsschneider in seinem Geschäft nieder.

Dann Hamburg, nur zwei Wochen später. Um Oliven nachzukaufen, läßt Ali Tasköprü seinen Sohn Süleyman nur kurz allein am Vormittag jenes 27. Juni 2001 in dem Obst- und Gemüsegeschäft an der Schützenstraße in Bahrenfeld. Als der damals 54jährige gegen 11.15 Uhr zurückkehrt, findet er Süleyman ermordet auf. Der 31jährige hinterläßt Frau und eine dreijährigen Tochter. "Wir haben die Meldung damals bundesweit herausgegeben. Noch am gleichen Tag meldeten sich spätabends die Kollegen aus Nürnberg", erinnert sich ein Ermittler der Hamburger Mordkommission: "Uns war schnell klar, daß der Fall über Hamburg hinausgeht."

Noch vor Ende des Sommers 2001 stirbt auch der Münchner Habil Kilic, wie Süleyman Tasköprü aus Hamburg Obst- und Gemüsehändler, durch Kugeln aus derselben Waffe. Kilics Killer kommt am Morgen des 29. August vormittags in den kleinen Laden seines Opfers, schießt dem 38jährigen zweimal in den Kopf.

Zweieinhalb Jahre ist Ruhe. Dann, am 25. Februar 2004, trifft es Yunus Turgut in Rostock. Der 25jährige wird tot aufgefunden in seiner Dönerbude. Am 9. Juni 2005, vor knapp zwei Wochen, kommt der Tod abermals in eine Dönerbude, diesmal wieder in Nürnberg, gleich um die Ecke der Bundesagentur für Arbeit. Gegen zehn Uhr vormittags wird Ismail Yazar, ein freundlicher Fünfzigjähriger mit Schnauzer, durch Schüsse in Kopf und Herz getötet.

Ein Mord im Jahr 2000, drei Morde 2001, einer in 2004 - und jetzt gleich zwei binnen einer Woche. Welches Ceska-Modell verwendet wurde, wollen die Ermittler noch nicht sagen - aus ermittlungstaktischen Gründen. Die Pistole stammt vom tschechischen Hersteller Ceska Zbrojovka, einer renommierten Waffenschmiede nahe der tschechisch-slowakischen Grenze. Das eher kleine Kaliber 7,65, ehemals Standard bei der deutschen Polizei, ist ideal für einen Killer, der handliche Waffen sucht und nur aus der Nähe schießen muß, sagen Experten.

Warum gehen der oder die Täter das hohe Risiko ein, dieselbe Waffe zu benutzen? Die Ermittler können derzeit nur mutmaßen. Ist es eine Art Visitenkarte, will der Täter andere warnen, daß ihnen das gleiche Schicksal droht? Fühlt sich der Serienmörder so sicher? Die Motivlage ist diffus. Spuren führen in die Niederlande, nach Amsterdam. Immer wieder tauchte in den vergangenen Jahren die Vermutung auf, daß die Opfer in Geschäfte einer kurdischen Drogenmafia verwickelt waren, ihre Läden möglicherweise als Depots dienen sollten. Mußten sie sterben, weil sie solche Drogengeschäft auf eigene Rechnung machten oder sich den Deals verweigerten? Wurde der Killer von Hintermännern aus den Bergen Anatoliens geschickt, um tödliche "Denkzettel" zu verpassen?

Tatsache ist: Die Opfer kannten einander nicht. Berichte, wonach zumindest die türkischen Ladenbesitzer alle Geschäftsbeziehungen zu einer Tarnfirma in Istanbul hatten, die mit Drogen, Menschenhandel und Autoschieberei Millionen macht, nennt die Soko Halbmond offiziell "Spekulationen, die nicht den Ermittlungen entsprechen". Seit gestern gibt es "eine erste gute Spur", so die Nürnberger Ermittler. Demnach wurden am Tattag des Nürnberger Dönerbuden-Mordes vor zwei Wochen zwei junge Männer nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt beobachtet. Sie luden zwei Fahrräder in einen dunklen Lieferwagen mit abgetönten Scheiben und vermutlich ausländischem Kennzeichen. Die etwa 20 bis 30 Jahre alten, 1,90 Meter großen und auffallend schlanken Verdächtigen wurden zudem zur Tatzeit neben der Dönerbude von Ismail Yazar gesehen. Kamen seine Mörder mit dem Rad?

Einer der Verdächtigen trug einen dunklen Rucksack - genauso wie der sehr ähnlich aussehende Mann auf dem Phantombild der Münchner Kollegen. Es zeigt den Mittdreißiger, der gegen 18.10 Uhr am Mittwoch vor einer Woche mit Theodorus Boulgarides vor dem Schlüsseldienst saß und sich mit ihm heftig gestritten haben soll. Hat sich der Mörder kaltblütig mit seinem Opfer Minuten vor der Tat an der vielbefahrenen Straße noch gleichsam auf einen Präsentierteller gesetzt?

Und: Eine Spur führt jetzt auch nach Köln, zu dem spektakulären Attentat mit einer Nagelbombe, bei dem am 9. Juni vor einem Jahr 22 Menschen verletzt wurden. Auch im Fall des bislang ungeklärten Nagelbombenattentats gebe es Fotos von einem Mann mit einer solchen Kappe und einem Fahrrad, sagt die Kölner Polizei. Die Fotos aus Köln und die nach den Zeugenaussagen angefertigten Phantombilder sollen jetzt abgeglichen werden - einer von zahlreichen Hinweisen, die Stück für Stück abgearbeitet werden müssen.

Theos Geschäftspartner hat die Internet-Homepage des Münchner "Schlüsselwerks" für das Gedenken an den 41jährigen leer geräumt. Dort steht jetzt nur Theos Name, sein Todesdatum - und ein Satz: "Es wird wohl immer die Falschen treffen."

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