"Mein Kind, sei nicht traurig, tut auch der Abschied weh!"
Absolut treffend, Hans Albers: Das letzte öffentliche Geleit für Domenica am Freitagnachmittag rührte viele zu Tränen. Es war eine Zeremonie mit besonderem Charakter, mit Pauken und Trompeten: Laut und schrill, herzergreifend, aber nicht ohne Stolz und Würde. Passend zum Stadtteil, zu Ehren des zwei Wochen zuvor im Alter von 63 Jahren verstorbenen Kiez-Ikone.
"La Paloma", intonierte die Band Tätära, und fast 500 Weggefährten vergangener Jahrzehnte folgten gesetzten Schrittes. Vom Hans-Albers-Platz führte der Trauermarsch durch die Davidstraße zur St.-Pauli-Kirche. "Es war wohl der größte Trauerzug, den St. Pauli je gesehen hat", sagte Pastor Martin Paulekun. Mitte März soll die Urne im "Garten der Frauen" beigesetzt werden.
Dass Damen außerhalb des Rotlichts ungestraft die Herbertstraße betreten durften, war nur eine der wundersamen Facetten eines für St. Pauli traurigen Tages. Seite an Seite schritten ergraute Kiezgrößen mit Sonnenbrillen, betagte Bordschwalben, aber auch viele junge Menschen aus dem Milieu der Drogenhilfe gen Pinnasberg. Dass der Katholikin Domenica Anita Niehoff auf eigenen Wunsch in einem evangelischen Gotteshaus gedacht wurde, passt ins Bild.
"Wir wollen an Domenica denken und schweigen", sagte ihr langjähriger Wegbegleiter und Freund Günter Zint vis-à-vis dem Bordell French Bizarre inmitten der Herbertstraße. Einige Meter weiter, in den Absteigen 3 und 72, war die dominante Rheinländerin jahrelang ihrem Gewerbe nachgegangen. Die Kolleginnen von heute hatten sich entweder hinter den Gardinen ihrer Schaufenster versteckt - oder sich in die Trauergemeinde eingereiht. Ebenso Typen in Leder, Transvestiten, Paradiesvögel mit weißen Pelzen und lila Hüten. Hamburger Prominente, die sich in großen Zeiten gerne im Scheinwerferlicht neben der "Kiez-Königin" in Szene setzten und ihr bei Lesungen oder Empfängen mit Champagnerkelchen zuprosteten, wurden nicht gesichtet.
"Am Ende bleiben nur die wahren Freunde", sagte Fee Zschocke, Autorin des Buches "Domenica und die Herbertstraße". Und davon waren viele erschienen.
Der frühere Boxer Rene Weller, der einst mangels Quartier in ihrem Etablissement nächtigte und morgens mit Kaffee und Brötchen verwöhnt wurde. Mitbewohner Peter aus der Talstraße. Der Nachtklub-Besitzer a. D. Wolfgang Schäfer, die alte Freundin Peggy Parnass, der langjährige Essen-Austräger Salvatore Martens alias "Pico". Oder Helga Geiger, ehemals als gewichtige Striptease-Tänzerin "Dickie Dixon" eine namhafte Größe. "Den Hut hat mir Domenica vor 14 Jahren geschenkt", sagte sie. "Mit der Auflage, diesen bei ihrer Beerdigung zu tragen."
Zu Ehren der Toten hatte sich Ralf-Udo Berger, guter Bekannter seit den 70ern und seinerzeit Betreiber des Saunaklubs Attika, seinen langen Haarzopf abschneiden lassen: "Glatze passt besser zu meinem Gemütszustand." In seiner schwarzen Aktentasche führte er eine Liste namhafter Kiez-Veteranen mit sich. "Stuppen Roy", der "Braunschweiger Wolfgang", "Schabo der Bankräuber", "Zigeuner-Lothar" und "Nussglocke" standen darauf, ebenso "Harry der Hundertjährige", "Lackschuh-Dieter", "Chinesen-Fritz", "Dornröschen" oder der "Kinnlader".
Mancher von ihnen nahm gesenkten Hauptes in der St.-Pauli-Kirche Platz. "Befiehl du deine Wege", sangen alle gemeinsam. Und: "Lobe den Herrn!" Vor dem mit schwarzem Samt verhüllten Sarg lagen große Kränze, aber auch persönliche Briefe, kleine Notizzettel, Erinnerungsstücke.
Schweigen. Zum Abschied erklang Hans Albers' "La Paloma": "Wein nicht mein Kind, die Tränen sind vergebens."
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