"Ist das die mit dem Harry Potter?" Jakob Tal (50) aus Niendorf hat am Ausgang vom Hanse-Viertel einen "Hinz & Kunzt"-Verkäufer entdeckt. Er deutet auf den Zeitschriftenstapel. "Ist das die mit dem Vorabdruck?" "Hinz & Kunzt"-Verkäufer Egon Steinicke (63) nickt und gibt Tal ein Heft. "Meine Tochter ist vierzehn", berichtet Tal. "Sie hat mich beauftragt, die ,Hinz & Kunzt' zu kaufen. Sie wird sich riesig freuen. Aber zuerst lese ich!" Auch Verkäufer Steinicke freut sich. "Ich stehe erst eine Viertelstunde hier, aber ich hab schon vier Exemplare verkauft!" Punkt 14 Uhr ging am Sonnabend die November-Ausgabe der Hamburger Obdachlosen-Zeitschrift "Hinz & Kunzt" in den Verkauf. Statt wie üblich 60 000 Exemplare warten in diesem Monat 100 000 Hefte auf ihre Käufer. Weitere 50 000 Exemplare können nachgedruckt werden. Alles wegen der kleinen, achtseitigen Beilage in der Heftmitte. Was darin steht, wird von Tausenden seit Monaten ersehnt: Es ist das erste Kapitel des fünften Harry-Potter-Bandes, zwei Wochen, bevor das Buch "Harry Potter und der Orden des Phönix" am 8. November in Deutschland in einer Rekordauflage von rund zwei Millionen Exemplaren erscheint. Der Vorabdruck ist eine kleine Sensation - und ein Muss für jeden Potter-Fan. "Ich habe bis in die Nacht gelesen", gibt Wirtschaftsschülerin Stefanie Dobert (15) zu. Sie mag besonders, dass es in den Potter-Büchern auch um Schulalltag und Lehrerärger geht. Stefanies Lehrerin kann das nachvollziehen: Frauke Stratmann (35) war schließlich gemeinsam mit ihren Schülern in die Zeise-Hallen in Ottensen gekommen, wo "Hinz & Kunzt" am Sonnabend drei Verkaufsstände aufgebaut hatte. "Wir behandeln Harry Potter gerade im Deutschunterricht", erklärt Frauke Stratmann. "Uns war sofort klar, dass wir das Angebot annehmen", sagt "Hinz & Kunzt"-Geschäftsführer Jürgen Angerer über den Vorabdruck. Die Idee, Straßenzeitungen das erste Kapitel vorab zu schenken, kam vom Hamburger Carlsen-Verlag, der bei Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling anfragte. Bevor sie zu Erfolg kam, lebte Rowling selbst von Sozialhilfe. Immer wieder hatte sie erzählt, wie sie ihre ersten Geschichten frierend in einem Cafe geschrieben hatte. "Wir waren total begeistert, als wir vom Angebot erfuhren", so "Hinz & Kunzt"-Sprecherin Sybille Arendt. "Das Echo war enorm." Plötzlich rief der britische Sender BBC in der Redaktion der Obdachlosenzeitschrift an. Auch die "Tagesschau", ein tschechischer Sender sowie die "New York Times" brachten Berichte. Am 1. Oktober schickte der Verlag das Manuskript per Mail an den Grafiker, der den Text direkt in die "Hinz & Kunzt"-Beilage einbaute. "Wir haben ihn sofort wieder gelöscht", berichtet Sybille Arendt. Auch die Lastwagen wurden sofort verschlossen, als am Freitag die druckfrischen Ausgaben eingelagert waren. "Mit diesem wunderbaren Geschenk haben wir die Chance, viel Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen und junge Leser an uns zu binden", sagt Jürgen Angerer. Dennoch: Ganz zufrieden sind die Verkäufer nicht. "Noch läuft es schleppend", urteilt Verkäufer Fred Kötteritzsch. "Aber das ändert sich hoffentlich heute, wenn wir wieder auf unseren angestammten Plätzen stehen."
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