Hamburg. Welche Stadt wurde im Sommer 1943 Schauplatz der größten bis dahin von Menschenhand erzeugten Katastrophe? Wie heißt die einzige Stadt in Europa, deren völlige Vernichtung durch eine dicht aufeinander folgende Serie von Luftangriffen während des Zweiten Weltkrieges geplant wurde? Hamburg - so lautet die Antwort. Hamburg - warum ausgerechnet Hamburg? "Ich hatte schon immer den Wunsch, Hamburg wirklich und direkt aufs Korn nehmen zu können. Es war die zweitgrößte Stadt Deutschlands, und ich wollte dort einmal wirklich etwas Ungeheures veranstalten", schrieb Luftmarschall Arthur T. Harris, Chef des britischen Bomberkommandos von 1942 bis 1945, nach dem Krieg. Harris war überzeugt, die Moral der deutschen Zivilbevölkerung durch Luftangriffe brechen und Deutschland in die Kapitulation bomben zu können. Arthur T. Harris, den seine Bomberbesatzungen später den "Schlächter" ( Butcher ) nennen sollten, war jedoch nicht der Erfinder des Moral Bombing , jener verheerenden Flächenangriffe ( Area-Bombing ) auf deutsche Städte, die keinen Unterschied machten zwischen Wohnungen und Fabriken, Zivilisten und Soldaten. Als Harris im Februar 1942 das Kommando übernahm, befahl ihm eine Direktive der Regierung vom 14. Februar 1942, Deutschland "ohne Einschränkung" zu bombardieren mit dem Ziel, "die Moral der feindlichen Zivilbevölkerung und besonders der Industriearbeiter zu zerstören". Chef der britischen Regierung war Premierminister Winston Churchill, der von Harris bis kurz vor Kriegsende immer wieder "vernichtende Angriffe" fordern sollte. Die Planungen für die Vernichtung Hamburgs begannen am 27. Mai 1943 mit dem Befehl Nr. 173, in dem Harris seine Geschwaderkommodores informierte, dass der Großangriff "eine sehr wichtige Rolle bei der Verkürzung des Krieges spielen werde und dabei, ihn zu gewinnen". Und weiter: "Mindestens 10 000 Tonnen Bomben müssen abgeworfen werden, um den Prozess der Auslöschung zu vollenden." Vier nächtliche Großangriffe binnen zehn Nächten mit jeweils 750 bis 800 Bombern, die insgesamt 3100 Einsätze fliegen sollten, waren vorgesehen. Sie erhielten den Decknamen "Operation Gomorrha", nach jener Stadt am Toten Meer, die im biblischen Altertum laut 1. Moses 19 wegen besonderer Sündhaftigkeit ihrer Bewohner durch Feuer- und Schwefelregen vernichtet worden sein soll. "Gomorrha" sollte sich für Hamburg als Menetekel erweisen: Beim Nachtangriff am 27./28. Juli 1943 brachte ein Feuersturm mit Temperaturen von 600 bis 800 Grad Celsius, ein bis dato unbekanntes Phänomen, in nur drei Stunden mehr als 30 000 Menschen in der Stadt um. Harris' Rechnung sollte jedoch nicht aufgehen: Die Moral der deutschen Bevölkerung brach nicht, und es gab auch keinen Volksaufstand gegen den Diktator Hitler, auf den Churchill auf Grund der Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg gehofft hatte. Die Wehrmacht kapitulierte erst, als ihr Kriegsherr tot, die Reichshauptstadt gestürmt und Deutschland besetzt war. Könnte sich "Gomorrha" wiederholen? "Aus politischen, völkerrechtlichen und psychologischen Gründen wäre es heute nicht mehr möglich", stellt Oberst i. G. Jürgen Kolbe von der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg fest. "Luftangriffe gegen zivile Ziele wären auch schon im Zweiten Weltkrieg nicht gerechtfertigt gewesen, wenn man die Haager Luftkriegsordnung von 1922 so interpretiert hätte wie heute." Harris hat das Bombardement allerdings durchgehalten, obwohl gegen Kriegsende moderne Präzisionsgeräte den Briten Angriffe auf Punktziele auch in der Nacht und damit die Schonung von Wohnvierteln ermöglicht hätten. Heute würden Flächenangriffe keinen Sinn mehr machen. Sie würden gegen das Völkerrecht verstoßen, und die Weltöffentlichkeit würde aufschreien, wenn die allgegenwärtigen Medien über Attacken gegen Wohnviertel berichten würden. Das wohl beste Urteil über das Unternehmen "Gomorrha" hat 60 Jahre danach der deutsche Historiker Jörg Friedrich ("Der Brand") gesprochen: "Das Flächenbombardement gegen deutsche Städte war eine schreckliche Strategie von beschränktem militärischen Nutzen in einem exzellent begründeten Krieg."
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg