Sie war eine Frau, die den Streit nicht fürchtete. Sie prägte ganze Generationen von Theologen mit ihrem politisch-kämpferischen Verständnis der christlichen Botschaft und war seit mehr als 30 Jahren aus Politik und Kirche nicht wegzudenken: Die Hamburger Theologin Dorothee Sölle ist am gestrigen Sonntagmorgen im Alter von 73 Jahren im baden-württembergischen Göppingen überraschend an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben. Die vor allem durch ihr Engagement in der Friedensbewegung bekannte Theologin hatte in der Evangelischen Akademie Bad Boll noch am Sonnabend mit ihrem Ehemann, dem emeritierten Hamburger Theologen Fulbert Steffensky, zum Thema "Gott und das Glück" referiert und ihre Gedichte vorgetragen. Gestern Morgen, gegen 4 Uhr, musste ihr Mann den Notarzt rufen, weil seine Frau Herzprobleme bekam. Sölle war stark zuckerkrank und hatte bereits vor einem Vierteljahr einen Infarkt erlitten. Tief erschüttert zeigte sich Bischöfin Maria Jepsen (58), als sie die Nachricht vom Tode Sölles bei einer Veranstaltung auf dem Rathausmarkt erfuhr. "Wir verlieren eine Frau von tiefer Frömmigkeit, die sich immer wieder zu gesellschaftlichen und politischen Themen zu Wort gemeldet hat", sagte Jepsen. Ihre Friedenstexte seien von einer großer Wahrhaftigkeit und Sölles tiefem Glauben gekennzeichnet. Für viele Hamburger Christen sei ihr Tod ein bitterer Verlust. Jepsen: "Wir müssen aber dankbar sein, für all die vielen, großartigen Texte dieser Frau. Sie sind es, die uns in der Trauer trösten und aufrütteln. Mit unseren Gedanken sind wir auch bei ihrem lieben Mann Fulbert Steffensky." Die am 30. September 1929 in Köln als Tochter des Arbeitsrechtlers Hans-Carl Nipperdey geborene Sölle galt als meistgelesene theologische Schriftstellerin des Landes. Trotz ihrer Habilitation im Jahr 1971 erhielt die unter ihren Kollegen wegen ihrer theologischen Aussagen umstrittene Wissenschaftlerin in Deutschland nie einen Lehrstuhl. Zeitweise arbeitete sie als Studienrätin. Von 1975 bis 1987 dozierte sie als Professorin für Systematische Theologie in New York. Erst 1994 wurde sie zur Ehrenprofessorin der Universität Hamburg ernannt. Zu ihren theologischen Büchern zählen "Politische Theologie", "Atheistisch an Gott glauben" und "Gott im Müll". Auf kircheninterne Kritik war Sölle bereits 1965 mit ihrer ersten größeren Veröffentlichung "Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem Tod Gottes" gestoßen. Sölle sprach selbst, wie es zu ihrem 70. Geburtstag im "Deutschen Sonntagsblatt" hieß, von einer Absage an einen allmächtigen Gott, der sich für die Menschen nicht interessiert oder an einen "Papa-wirds-schon-richten-Gott". Für die linke Theologin waren christliche Lebensführung, politisches Engagement und Theologie nicht zu trennen. Sie wandte sich scharf gegen eine "Amerikanisierung" und "Ökonomisierung" aller Bereiche. 1968 sorgte sie auf dem Katholikentag in Essen mit einem Politischen Nachtgebet für Aufsehen. Sie solidarisierte sich mit Befreiungsbewegungen in Nicaragua und El Salvador. Zu ihren literarischen Werken zählen die Lyrik-Bände "Die revolutionäre Geduld", "Zivil und ungehorsam" oder "Verrückt nach Licht". Sölle heiratete 1954 den Maler Dietrich Sölle; nach zehn Jahren wurde die Ehe geschieden. 1969 heiratete die Theologin den früheren Benediktinermönch Fulbert Steffensky, mit dem sie im gemeinsamen Haus in Othmarschen lebte. Sie hinterlässt drei Kinder aus erster und eine Tochter aus zweiter Ehe.
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