Hafenverbandschef Gunther Bonz fordert Ersatz für Köhlbrandbrücke und A-7-Sanierung. Er spricht über marode Straßen und fehlende Gleise.

Hamburg. Der Hafen ist das wirtschaftliche Herzstück der Stadt. Er steht für mehr als 150 000 Arbeitsplätze in der Metropolregion und Steuereinnahmen von mehr als 750 Millionen Euro. Wie viele Container werden künftig umgeschlagen und welche Risiken entstehen durch marode Straßen, fehlende Brücken und Gleise? Antworten gibt Gunther Bonz, Manager beim Hafenkonzern Eurogate und Verbandschef der europäischen Hafenfirmen.

Hamburger Abendblatt: Hamburgs dringlichstes Hafenprojekt ist die Elbvertiefung. Wagen Sie eine Prognose, wann das Vorhaben startet?

Gunther Bonz: In einem Jahr werden die Arbeiten aus meiner Sicht begonnen haben. Zwar werden sie insgesamt 24 Monate dauern, doch nach sechs Monaten wird die Fahrrinne bereits einen halben Meter tiefer sein. Nach dem Abschluss wird die Vertiefung für Schiffe bis zu einer Kapazität von 14 000 bis 16 000 Standardcontainern (TEU) reichen. Ich habe aber auch nie eine weitere Elbvertiefung ausgeschlossen.

Wie wird sich der Umschlag im Hamburger Hafen entwickeln?

Bonz: Ein Plus von drei bis vier Prozent auf bis zu 9,5 Millionen TEU ist für 2012 möglich. 2013 würden dann die zehn Millionen TEU erreicht, die Hamburg vor der Krise fast schon hatte. Auf den vorhandenen Terminals können mit den geplanten Ausbaumaßnahmen 20 Millionen TEU verladen werden. Die Kapazität reicht bis 2020 aus.

Der Hafenentwicklungsplan geht für 2025 aber von 25 Millionen TEU aus.

Bonz: Die Terminals können mit weiteren Investitionen auch diese Menge bewältigen, die vorhandene Verkehrsinfrastruktur reicht dafür jedoch nicht. Und ob dies ökonomisch realistisch ist, das ist eine weitere Frage.

Warum?

Bonz: Aus wirtschaftlicher Sicht ist das Wachstum in Nordeuropa schon wegen der stagnierenden Bevölkerung begrenzt. Und auch in China werden die Wachstumsraten langfristig geringer ausfallen. Die Kapazität der Häfen wird sich in Nordeuropa, außerhalb Großbritanniens, bis 2020 von 61 Millionen auf 100 Millionen TEU erhöhen. Das Plus entspricht viermal dem Umschlag in Hamburg.

Ist Wilhelmshaven dann überflüssig?

Bonz: Nein. Auch aus europäischer Sicht ist die Exportnation Deutschland gut beraten, Anlaufmöglichkeiten für ganz große Schiffe von 16 000 bis 18 000 TEU zu ermöglichen. Schiffsgrößen, die Hamburg auch nach der Elbvertiefung nicht anlaufen können.

Der Umschlag in Hamburg wird aber auch durch die Infrastruktur begrenzt. Wie groß ist der Sanierungsbedarf?

Bonz: Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland noch eine sehr gute Infrastruktur. Aber der Sanierungsbedarf ist gewaltig. Straßen und Brücken sind teilweise marode, über 3000 Autobahnbrücken sind nicht mehr voll funktionstüchtig. Wird hier nicht gehandelt, wird auch das Wachstum in den Häfen aufs Spiel gesetzt. Nur zwei Beispiele: Zwischen Waltershof und Heimfeld ist die Autobahn 7 wie eine Brücke aufgeständert und die Lebensdauer der Pfeiler geht jetzt zu Ende. Sie müssen allesamt saniert werden. Zweites Beispiel: An der Ausfahrt Waltershof in Richtung Norden sind 800 Meter Rückstaufläche für Laster seit Jahren gesperrt. Denn die an die Fahrbahn angebaute Fläche steht ebenfalls auf Stelzen und gilt als nicht mehr sicher. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die neue Regierung in Schleswig-Holstein will die A 20 nur noch bis zur A 7 bei Bad Bramstedt weiterbauen. Ist das die nächste Fehlentscheidung?

Bonz: Langfristig ja. Aber wenn die Autobahn 20 bis Bad Bramstedt in vier Jahren tatsächlich realisiert werden kann, wäre das sehr gut. Dann wäre man in Schleswig-Holstein bei diesem Projekt immer noch viermal so schnell wie in Hamburg bei der Hafenquerspange.

Die Spange soll in Hamburg die Autobahnen 7 und 1 verbinden und so den Hafenverkehr schneller abfließen lassen. Auch die Köhlbrandbrücke ist stärker abgenutzt als erwartet, und schließlich fehlen noch immer neue Gleise für Güterzüge, die zwischen Hannover und den Häfen Hamburg und Bremerhaven unterwegs sind. Auch über diese sogenannte Y-Trasse wird bisher nur diskutiert. Wie schnell muss etwas geschehen?

Bonz: Die Querspange ist überfällig. Aber bis 2015/16 wird wohl allenfalls die neue Kattwykbrücke soweit fertig sein, dass Lkw und Züge getrennt ihren Weg nehmen können. Für die Y-Trasse und Köhlbrandbrücke gilt: Sie müssen spätestens 2030 fertig sein. Das bedeutet aber: Mit der konkreten Planung muss heute begonnen werden. Der Hamburger Bürgermeister hat hier schnell und richtig gehandelt, indem er jüngst den sofortigen Planungsbeginn angeordnet hat.

Hat Hamburg fahrlässig ein Jahrzehnt Zeit verloren?

Bonz: Wie in anderen europäischen Mitgliedstaaten hat auch Deutschland nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Anfang 1990 einen entscheidenden Fehler gemacht: Die Infrastruktur wurde nicht mit dem Wachstum des Verkehrs ausgebaut, und man hat zu wenig Geld für den Substanzerhalt von Verkehrswegen bereitgestellt. Das beste Beispiel ist der Nord-Ostsee-Kanal. Dort entspricht die Technik dem Stand von vor 100 Jahren.

Was sollte nun anders gemacht werden?

Bonz: Auch im europäischen Vergleich bräuchte Deutschland ein Bundesministerium für Infrastruktur. Nur so ließe sich die gesamte Infrastruktur von Straße, Schiene, Wasserwegen, Energienetzen aus einer Hand für ganz Deutschland planen. Diese Aufgabe passt weder zum Wirtschafts- noch zum Verkehrsministerium.

Und wenn die Planung zu lange dauert?

Bonz: Dann wandert Ladung aus Deutschland und auch aus Hamburg ab. In den Niederlanden und in Frankreich wird weniger aufwendig geplant.

Zurück nach Wilhelmshaven. Entsteht dort neue Konkurrenz für Hamburg?

Bonz: Nein, eher für Rotterdam, weil Wilhelmshaven 100 Kilometer näher am Ruhrgebiet liegt. Hamburgs Wettbewerbsvorteile gegenüber den Rheinmündungshäfen liegen im südöstlichen Hinterland wie in Österreich und Ungarn.

Der Probebetrieb des Tiefwasserhafens ist wegen erheblicher Baumängel bereits verschoben worden. Wann startet Wilhelmshaven?

Bonz: Technische Probleme gab es beim Bau von Terminalanlagen auch in anderen europäischen Häfen. Am Ende sind alle erfolgreich in Betrieb gegangen.

Hamburg plant ebenfalls ein neues Terminal im Mittleren Freihafen. Ist das noch bedarfsgerecht?

Bonz: Nicht für den Containerumschlag. Mit zehn Kilometern Kaimauer an den bestehenden Terminals können - wie gesagt - pro Jahr 20 Millionen TEU umgeschlagen werden. Wird die Automatisierung vorangetrieben wie etwa in Altenwerder, oder setzt man Geräte ein, mit denen an Land flächendeckend vier Container übereinander gestapelt werden können, lassen sich auch 25 Millionen TEU erreichen.

Das neue Terminal würde so für Industrieansiedlungen frei?

Bonz: Der Hafen ist schon heute das größte Industriegebiet in Norddeutschland. Das neue Terminal wäre eine gute Reserve für Gewerbegebiete. Firmen, die Vorprodukte auf dem Wasserweg erhalten oder ihre Waren weiter transportieren, sind hier richtig.

Asiatische Reedereien haben aber Interesse an dem Betrieb eines Terminals in Altenwerder. Fürchten die Hamburger Terminalbetreiber die Konkurrenz?

Bonz: Terminalbetreiber haben keine Angst vor Konkurrenz, die Nordrange ist auch im europäischen Vergleich ein hart umkämpfter Markt. Unklug wäre es aber - bei ohnehin begrenzten Flächen für Industrie und Gewerbe -, Terminalkapazitäten zu schaffen, die nicht gebraucht werden.