Neben der schleichenden Wirtschaftskrise und der sie begleitenden Inflation legten Streiks den Betrieb der Bahn immer wieder lahm.

Hamburg. Als Wilhelm Stein im August 1918 aus dem Krieg heimkehrte und wieder auf seinem Vorstandssessel Platz nahm, befand sich das Deutsche Reich am Boden, der Kaiser im niederländischen Exil, und auch die Ausrufung der Weimarer Republik bewirkte keine Wunderdinge: Massenarbeitslosigkeit herrschte, Millionen Deutsche hungerten, die politischen Verhältnisse waren instabil, die Reparationsforderungen der Siegermächte schnürten dem Land die Luft ab, Rohstoffe waren Mangelware.

Die Hamburger Hochbahn AG, zu der von 1919 an auch die Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft (SEG) gehörte, war mit über 7000 Mitarbeitern zwar das größte Verkehrsunternehmen des Landes. Doch neben der schleichenden Wirtschaftskrise und der sie begleitenden Inflation legten Streiks den Betrieb immer wieder lahm. So gelten die Jahre von 1919 bis 1923 in der Historie der Hochbahn als "die verlorenen Jahre", obwohl eigentlich allerhand passierte: Einerseits bemühten sich die Fachleute im neuen Hochbahnhaus an der Steinstraße, die Fahrpläne und Tarife von U-Bahn und Straßenbahn aufeinander abzustimmen.

+++ Emil Schaudt +++

+++ Das Jubiläumsbuch +++

Gleichzeitig versuchten sie den öffentlichen Nahverkehr trotz knapper Energie-Ressourcen am Laufen zu halten - und trieben zudem mit viel Improvisationstalent den Ausbau des Schienennetzes voran: den Abzweig nach Eimsbüttel, die Walddörferbahn von Barmbek über Volksdorf nach Ohlstedt und Großhansdorf, die Billbrooklinie nach Rothenburgsort und die Strecke von Ohlsdorf nach Langenhorn.

Am 17. Dezember 1920 wurden die Klassen abgeschafft. Damit verbunden war eine Erhöhung der Fahrpreise von 60 auf 70 Pfennige für eine Einzelfahrt. Denn die Hochbahn steckte in der Klemme: Die Betriebskosten stiegen kontinuierlich, während die Fahrgäste ausblieben und das Personal laufend für Lohnerhöhungen streikte. 1922 wurden bereits insgesamt 15 Tariferhöhungen vorgenommen, zum Ende der Hyperinflation im Jahre 1923 kostete eine Einzelfahrt dann 150 Milliarden Mark. Erst als die Rentenmark eingeführt wurde, brummten über Nacht die Wirtschaft und damit auch die Hochbahn wieder.

Plötzlich reichten die Kapazitäten nicht mehr aus. Das Streckennetz musste überdacht, der Wagenpark und die Anlagen modernisiert werden. 1925 wurde der Bau der "Kelljung-Linie" als "Innenstadt-Durchmesserline" beschlossen, 1929 wurde die Strecke Kellinghusenstraße-Jungfernstieg eingeweiht. Die neue Haltestelle an Hamburgs Prachtboulevard lag zum Teil bis zu sechs Meter unter der Alster und besaß - als erste ihrer Art - Rolltreppen.

Doch mit dem "Schwarzen Freitag" am 24. Oktober 1929 fanden die kurzen Goldenen Zwanziger ein jähes Ende. Innerhalb kürzester Zeit sank die Zahl der Beschäftigten in Hamburg um 40 Prozent. So brachen auch bei der Hochbahn die Einnahmen dramatisch ein: Bis 1933 sank die Zahl der beförderten Personen von 307 auf 191 Millionen, die Einnahmen gingen von 68 auf 38 Millionen Reichsmark zurück. Wilhelm Stein reagierte auf diese Entwicklung mit der Entlassung von Hunderten von Hochbahnern und Ausdünnungen des Verkehrsangebots. Er wurde zu einem der umstrittensten Männer der Stadt, denn die Bezüge des Vorstands blieben hoch. Man wunderte sich, warum für die Dividende stets Geld vorhanden war!

Mit der Ankunft des vermeintlichen Heilsbringers Adolf Hitler, dem das Volk 1933 zunächst in eine Diktatur und nur sechs Jahre später in den Zweiten Weltkrieg folgte, verloren Stein und viele andere Hochbahner ihre Arbeit. Das Unternehmen wurde "nazifiziert". An der Spitze agierte jetzt der glühende Nazi Friedrich Stanik, der die innerbetriebliche Kommunikation vor allem über die neue Unternehmenszeitung "Stirn und Faust" betrieb und von einem riesigen Hochbahnhaus am Hauptbahnhof träumte.

So erfuhren die Hochbahner kurz nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939, dass sie jetzt für einen "lebenswichtigen Betrieb" arbeiteten. Tatsächlich wurde der Individualverkehr mit Autos und sogar mit Fahrrädern deutlich eingeschränkt - und die Fahrgastzahlen stiegen rasant. Selbst im Katastrophenjahr 1943, als die Alliierten mit ihrer "Operation Gomorrha" weite Teile Hamburgs (und damit auch des U-Bahn-Schienennetzes sowie Hunderte von Waggons) zerstörten, beförderte das Unternehmen noch 328 Millionen Fahrgäste, wobei die Straßenbahn die Hauptlast trug.

Am 3. Mai 1945 wandte sich Friedrich Stanik vor der kampflosen Übergabe der Stadt an die britischen Truppen zum letzten Mal an die Belegschaft: "Ich erwarte von allen Arbeitskameraden, dass sie dem Aufruf unseres Gauleiters gemäß Ruhe, Disziplin und Würde wahren." Unmittelbar nach der Übernahme Hamburgs durch die Briten ruhte der öffentliche Nahverkehr. Doch schon am 8. Mai, dem Tag der deutschen Kapitulation, wurde er provisorisch wieder aufgenommen - und auch die "Entnazifizierung" der Hochbahn begann.

Morgen lesen Sie: Beim Wiederaufbau setzt Hamburg auf den Bus. Die Bürger trauern: die letzte Fahrt der Straßenbahn.