15. Februar 1912: Die Jungfernfahrt mit ein paar Hundert Ehrengästen verlief über die erste Teilstrecke vom Rathausmarkt nach Barmbeck.

Hamburg. Vom Herbst 1906 an war die Stadt eine einzige große Baustelle. Millionen Tonnen von Erde, Stahl und Beton mussten transportiert, genietet und geschweißt beziehungsweise angemischt und gegossen werden. Rund 2500 Männer und 500 Frauen bauten die Ringlinie um die Alster sowie die Nebenstrecken in Handarbeit; zwölf Stunden täglich an sechs Tagen in der Woche für durchschnittlich 100 Mark Monatslohn. Die geplante Strecke war rund 28 Kilometer lang. Die Ringlinie vom Rathaus über Barmbeck (damals noch mit "c"), Kellinghusenstraße, Schlump und Landungsbrücken (damals Hafentor) zurück zum Rathaus - die heutige U 3 - war allein 17,48 Kilometer lang, darunter sieben Kilometer Tunnel, vier Kilometer eiserne und anderthalb Kilometer steinerne Viadukte, 58 Straßenunterführungen und Brücken von insgesamt zwei Kilometern Länge. Rund sechs Millionen Kubikmeter Aushub wurde dem Boden entrissen. Die "Queen Mary 2" könnte damit 14-mal aufgefüllt werden.

Der größte Feind der Arbeiter an den Dämmen und in den Tunneln, die vorwiegend in offener Bauweise entstanden, war das Wasser. Es musste mit großem Aufwand aus den Tunnelstrecken ferngehalten werden. Die Stützen für die Viadukte mussten so befestigt werden, dass sie vom überwiegend weichen Untergrund getragen werden konnten; auch beim Dammbau kam es immer wieder zu Erdrutschen, wenn der Boden nicht stabil genug war.

+++ Wilhelm Stein +++

+++ Das Jubiläumsbuch +++

Der zweitgrößte Feind des engen Zeitplans waren Streiks: An 280 Tagen ruhte die Arbeit. Die Bauleitung, die um die Einhaltung des Termins fürchtete, machte die Sozialdemokraten für diese zeitlichen Verzögerungen verantwortlich. Doch die SPD konterte in einem Artikel des "Hamburger Echos" vom 16. September 1911: "Nein, die Bauverwaltung schwenkt doch etwas zu aufdringlich den roten Lappen, als daß es ( die eigenen Planungsfehler, die Red. ) nicht auffallen und verdächtig werden sollte. Auch der Spießer in Hamburg wird ungeduldig, da es so gar nicht weiter geht ..."

Am bitterkalten 15. Februar 1912 waren all diese Querelen vergessen: Die Jungfernfahrt mit ein paar Hundert Ehrengästen verlief über die erste Teilstrecke vom Rathausmarkt nach Barmbeck, wo die neu gegründete Hamburger Hochbahn AG ihre Gäste auf dem Betriebshof Hellbrookstraße mit einem opulenten Festmahl bewirtete. Jetzt besaß Hamburg als zwölfte Metropole auf der Welt (und als zweite Stadt in Deutschland) eine U-Bahn.

Am 29. Juni 1912 ging endlich die gesamte Ringlinie in Betrieb. Die Züge fuhren im Zehn-Minuten-Takt, auf dem Ostring zwischen Barmbeck und Rathausmarkt sogar alle fünf Minuten. Insgesamt standen 80 Wagen zur Verfügung, doch schon bald wurde deutlich, dass diese nicht einmal kurzfristig ausreichten. Die Hochbahn hatte die Begeisterung der Bevölkerung unterschätzt. Am 8. Dezember 1912 - dem Rekordtag jenes Jahres - zählte man 150.000 Fahrgäste, von denen die meisten zum Hamburger Winterdom fuhren. Doch auch während des Berufs- und Feiertagsverkehrs waren die Züge, vor allem in Barmbeck, häufig so sehr überfüllt, dass die Bahnsteige gesperrt werden mussten.

Eine erste Bewährungsprobe hatte das junge Unternehmen dann am 1. Februar 1913 zu bestehen, als die Belegschaft für höhere Löhne streikte und nach eineinhalb Tagen Chaos sieben Prozent mehr Lohn erstritt. Wilhelm Stein, der bei Siemens die geradezu revolutionären Sozialleistungen eines Großunternehmens kennengelernt hatte, ließ darüber hinaus eine Pensionskasse, eine Betriebskrankenkasse sowie eine Invalidenversicherung einrichten, was für die damalige Zeit als enorm fortschrittlich galt. Die zweite, ungleich größere Bewährungsprobe folgte dann am 1. August 1914, als Kaiser Wilhelm II. dem Volk verkündete: "Es muss denn das Schwert nun entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen!"

Auch Wilhelm Stein, Hauptmann der Reserve, wurde einberufen und mit ihm rund 60 Prozent des männlichen Hochbahnpersonals. Zwei Jahre später kämpften gar 98 Prozent des männlichen Betriebspersonals an der West- und Ostfront. Nun rächte sich die Einstellungspolitik des Unternehmens, denn für Anwärter auf einen Posten im Aufsichtsdienst war ein Unteroffiziersrang Pflicht. Die erste Frage beim Einstellungsgespräch hatte stets gelautet: "Haben Sie gedient?"

Jetzt hielten die Frauen den Betrieb aufrecht. Sie standen an den Schaltstellen der Signalblöcke, kuppelten die Triebwagen oder reparierten Gleise. Vor dem Krieg wäre es undenkbar gewesen, dass Frauen solch schwere körperliche Arbeit verrichteten. Improvisation war gefragt, denn der Krieg hatte die Hochbahn in einem äußerst ungünstigen Moment getroffen. Dass Unternehmen befand sich schließlich noch im Aufbau, der Fahrbetrieb auf der Ringlinie spielte sich gerade ein, und die Bauarbeiten an den Nebenstrecken waren längst nicht abgeschlossen. Jetzt musste der Fahrplan ausgedünnt werden, und das verbliebene Personal musste massenhaft Überstunden schieben. Das Hochbahn-eigene Kraftwerk stellte bald von Kohle auf Koks um. Je länger der Erste Weltkrieg dauerte, desto knapper wurden die Rohstoffe. Viele Industriebtriebe stellten gezwungenermaßen ihre Produktion ein. Das sorgte für weniger Fahrgäste und damit auch für geringere Einnahmen - doch dies sollte sich bald schon wieder ändern.

Morgen lesen Sie: Die Goldenen Zwanziger - die Hochbahn unterm Hakenkreuz und Bomben auf die Schienen.