Joschka Fischer gibt den Chefankläger gegen die Euro-Politik der Regierung. Dabei hat Rot-Grün das Desaster mit heraufbeschworen

Danke, Joschka! Auf diese Warnung aus vermeintlich berufenem Munde haben Schwarzseher, Untergangspropheten Katastrophenbeschwörer nur gewartet. Vergangene Woche hatte der ehemalige Außenminister in der "Süddeutschen Zeitung" geschrieben: "Europa steht heute am Abgrund." Und schon wenig später waren einige aufgeregte Medienmacher einen Schritt weiter. Ein Kolumnist auf Spiegel Online verkündet, das "Endspiel um den Euro habe begonnen". Im Hinblick auf die Schuldenkrise schlagzeilte die seriöse Tagesschau im Netz: "Angst vor der Apokalypse". Und die "Welt" weiß, die "Merkel-Doktrin drückt den DAX".

Willkommen im Weltuntergang. Man gewinnt den Eindruck, die wortmächtige Mahnung Joschka Fischers sei an dieser kleinen Horrorschau nicht unschuldig. Denn seine Brandrede fand ein großes Publikum: "Das europäische Haus steht in Flammen", tobte Fischer da und ging auf die "Feuerwehrhauptfrau Angela Merkel" los. Europa, angeführt von Deutschland, lösche lieber "weiter mit Kerosin statt mit Wasser", der Brand werde mit der von Merkel erzwungenen Austeritätspolitik beschleunigt. Dieser Sparkurs habe die Finanzkrise in der Euro-Zone innerhalb von drei Jahren zu einer wirklichen Existenzkrise auswachsen lassen. Und weil der Außenminister der deutschen Herzen gerade dabei ist, legt er noch nach: Indirekt wirft er Merkel vor, mit dieser Politik, freilich mit den besten Absichten, die europäische Ordnung "ein drittes Mal zugrunde" zu richten. Die beiden anderen Male muss Fischer gar nicht nennen, Kaiser Wilhelm II. und Adolf Hitler erschließen sich dem einigermaßen geschichtsfesten Leser wie von selbst.

Mit Verlaub, Herr Fischer: Das ist unter der Gürtellinie. Und liegt deutlich unter Ihrem Niveau. Bei allem Respekt vor den mutigen Reformen von Rot-Grün, für die Joschka Fischer wie kein zweiter Grünen-Politiker steht, ist diese Kritik an der Kanzlerin unangemessen, unlauter, unverschämt. Natürlich gibt es gute Argumente, die gegen den Kurs der Bundesregierung sprechen - und diese müssen auf den Tisch. Und Europa, diese Völker verbindende Idee, die auch Fischer umtreibt, benötigt starke Argumente und lautstarke Fürsprecher, die für sie werben.

Doch wenn sich ausgerechnet Fischer zum Chef-Ankläger in der Euro-Krise aufschwingt, grenzt dies an Geschichtsklitterung. Denn es war Deutschlands rot-grüne Regierung, die den Beitritt der Griechen im Jahr 2000 mitforciert hatte. Noch 1999 war von Hellas als Gründungsmitglied der Währungsunion nirgends die Rede, im Juni 2000 wurden sie dann überraschend schnell doch in den Euro-Klub hereingebeten - obwohl schon damals massive Zweifel an der Seriosität griechischer Haushaltszahlen existierten. Ein Mitglied des Zentralbankrates der Bundesbank warnte damals sogar öffentlich vor dem griechischen Beitritt. Trotzdem wurde dieser unselige Schritt im Frühsommer 2000 im rot-grünen Kabinett Schröder mit Bundesaußenminister Joschka Fischer durchgewinkt. Damals mochte kaum einer ahnen, welch fatale Folgen der Beitritt einer Wirtschaft von der Größe Hessens auf Europa haben könnte. Vielmehr war man beglückt von der historischen Stunde: Finanzminister Hans Eichel gratulierte Griechenland zum "langen und schwierigen Weg eines erfolgreichen Konvergenzprozesses". Kurz darauf betonte auch Fischer gegenüber der "Bunten", Griechenland habe sich hervorragend entwickelt.

Das war nur einer der dramatischen Fehler von Rot-Grün zum Euro. Es war auch das Kabinett Schröder, das im Herbst 2003 EU-Sanktionen für Deutschland verhinderte, nachdem wiederholt die Maastricht-Hürden gerissen wurden. Die Regeln, die den Euro sichern sollten, hat Rot-Grün zuerst aufgeweicht. Damit hatte ausgerechnet Deutschland mit Frankreich im Bunde den folgeschweren Tabubruch zulasten einer stabilen Währung begangen - und sich "systematisch an dem Erbe der Deutschen Mark versündigt", wie die damalige Oppositionsführerin im Bundestag kritisierte. Das war übrigens Angela Merkel.

Etwas mehr Demut steht da auch einem ehemaligen Außenminister gut zu Gesicht. Zugleich zeigt sich: Auch in Euro-Fragen muss man nicht jeden Alarmismus für bare Münze nehmen. Die Situation ist verfahren genug - Brandreden und Hysterie bringen niemanden weiter.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt