Barbara und Hasko Schmodde lassen mit der Rusch-Stiftung Künstler aus Hamburg und Berlin in der jeweils anderen Stadt auftreten

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für diese Stadt leisten, in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 45: Barbara und Hasko Schmodde. Sie bekamen den roten Faden von Falk Hocquél, Kulturmanager und Mitbetreiber von Haus 73 und Astra-Stube.

Manchmal ändert ein Testament das ganze Leben. Sogar für Menschen, die selbst gar nichts erben. Bei Barbara und Hasko Schmodde, beide schon im Rentenalter, war das so. Ihnen hat ein befreundetes Ehepaar eine ganze Stiftung in dieHände gelegt - die "Ilse und Dr. Horst Rusch-Stiftung". Seither sind die Schmoddes in Sachen Kultur zwei- bis dreimal pro Woche unterwegs: Theaterstücke, Performances, Konzerte. Sie reisen dafür auch oft nach Berlin, sie kümmern sich um Anträge von Künstlern und Theatern auf einen Zuschuss, lassen Prospekte drucken und sinddamit beschäftigt, das Vermögen der Stiftung nachhaltig zu sichern.

Hasko Schmodde, unüberhörbar in Berlin geboren, wird bald 70. Er verabschiedet sich gerade altershalber aus seinem Beruf als Notar. Seine Frau Barbara hat eine Frauenkarriere als Mutter von zwei Töchtern hinter sich; sie arbeitet ehrenamtlich für die evangelische Kirche, war EKD-Synodale, hat noch Kommunikationspsychologie studiert. Sie lacht: "Dass es so viel Arbeit macht, in Hamburg Geld für die Kultur auszugeben, hätten wir im Traum nicht gedacht." Im Garten ihres gutbürgerlichen Hauses in Rahlstedt lassen die beiden Revue passieren, wie alles anfing.

Seine Mutter und die des Stifters Horst Rusch kannten sich schon in Berlin. Rusch, Jahrgang 1928, machte eine Banklehre, studierte nach dem Krieg Jura und Kulturwissenschaften und ging dann nach Hamburg. Er wird Wirtschaftsprüfer mit großer Leidenschaft für alles Kulturelle. Fährt regelmäßig zu den Salzburger Festspielen, zu denBerliner Philharmonikern. Seine Frau stirbt 1996, und Rusch macht sich Gedanken darüber, was einmal bleiben soll.

So entsteht im Gespräch mit Notar Schmodde die Idee zu einer Stiftung, die Ruschs Universalerbe sein und die Musik sowie Theater unterstützen soll. Und zwar in Hamburg und Berlin, genauer: im Austausch zwischen Hamburg und Berlin. Irgendwann fällt der folgenreiche Satz: "Und ihr macht dann später die Stiftung!"

1997 wird die Stiftung errichtet; zunächst arbeitet sie auf Sparflamme. 2004 stirbt auch Horst Rusch. Monatelang sind die Schmoddes damit beschäftigt, das Vermögen zu sichten und für die Stiftung nutzbar zu machen - er als ehrenamtlicher Vorstand, sie als Geschäftsführerin mit einer kleinen Aufwandsentschädigung. Am Ende steht fest: Es handelt sich um Millionen, die gut angelegt jährlich eine ordentliche Ausschüttung abwerfen. "Wir waren anfangs etwas hilflos; uns war da eineStiftung zugefallen. Und wir sollten sie jetzt mit Leben erfüllen." Die Schmoddes erkennen: "Nun müssen wir ran."

Kulturell sind sie damals zwar keine Laien, aber auch keine Experten. Sie könnten es sich einfach machen - der Stiftungszweck würde auch erfüllt, wenn man Körperschaften öffentlichen Rechts Geld anvertraut. Die Kulturbehörde, verständlich, ist höchst interessiert. Doch das Ehepaar Schmodde beschließt, dass die Rusch-Stiftung selbst aktiv wird. Und zieht los.

"Erst mal durch alle Theater, um die Spielstätten und die Leute kennenzulernen. Wir haben die Stiftung vorgestellt, immer mit unserem kleinen, imaginären Geldkoffer." Natürlich sind sie überall willkommen. Aber wo in Berlin, wo in Hamburg sollten sie anfangen mit der Kulturförderung? Und was bedeutet das konkret - Förderung der kulturellen Beziehungen zwischen Hamburg und Berlin?

Plötzlich wird der Feuilletonteil der Zeitungen ihre zentrale Lektüre, das Abendblatt für Hamburg, der "Tagesspiegel" für Berlin. "Kluge Journalisten sind ja so wichtig für eine funktionierende Kulturszene."

Sie lesen alles, nicht nur die Kritiken, sondern auch Porträts, Interviews, Kulturnachrichten. Wer macht was, wer wechselt wohin, welches Ereignis hat welches Publikum? Die Eheleute scannen die Kulturszene: Was aus Hamburg passt nach Berlin, was aus Berlin würde Hamburg bereichern? Sie wissen, wie es den großen und den kleinen Theatern geht, sie reden darüber besorgter als mancher Kulturpolitiker ("Das Fleetstreet ist uns ja weggebrochen, das Ensemble Intégrales gibt's nicht mehr, die Opera stabile wird viel zu selten bespielt ...") Und sie wissen, was Kulturförderung oft wirklich ist: "Das liegt dicht am Rand der Sozialhilfe, wenn man bedenkt, dass man in freien Gruppen im Schnitt 1400 Euro pro Monat verdient - viele haben sehr viel weniger! Und dabei machen die eine ganz starke, wichtige gesellschaftliche Arbeit." Ihre Förderbeträge von bis zu 5000 Euro sind für einekleine Produktion oft die halbe Miete.

Nicht immer werden sie anfangs mit offenen Armen empfangen. Menschen, die Geld für Kultur übrig haben? Sehr verdächtig! Als sie Falk Hocquél vom Kulturhaus 73 am Schulterblatt treffen wollen, wo das "Kaltstart"-Nachwuchstheaterfestival seinen Platz hat, schlägt der eine Kneipe um die Ecke vor. Mit dem hübschen Namen "'Berliner Betrüger' - das passt doch prima!" Sie bieten an: "Wir könnten uns vorstellen, 'Kaltstart' zu fördern", und hören: "Wollen wir eigentlich gar nicht, wer fördert, redet nur rein." Nach dem Treffen hören sie: "Wir haben das intern besprochen, wir wären bereit, uns fördern zu lassen." Inzwischen ist man gut miteinander befreundet, und die Rusch-Stiftung ist ein willkommener Unterstützer von "Kaltstart".

Heute, nach sieben Jahren Stiftungsarbeit, sind sie bestens informiert. Kontakte sind etabliert, sie wissen, wer was plant. Namen und Projekte, Gruppen und Performances sprudeln hervor wie sonst nur in der Szene und beiFeuilletonjournalisten. "Wir müssen am Ball bleiben und genau beobachten." Die beiden Kulturförderer sind geachtete Gesprächspartner der Kulturmacher geworden.

Ihre Förderprinzipien halten sie eisern ein. Gefördert wird vorrangig, was sie selbst gesehen haben. Die Projekte müssen in Hamburg und Berlin zu sehen sein; oft ermöglicht die Rusch-Stiftung das erst, sie macht sich Gedanken über Spielorte, vermittelt Kontakte. Sie fördert nicht nur ein- oder zweimal, sondern auch nachhaltig. Sie lässt Programmhefte produzieren und bringt sie unters Kulturvolk. Wichtig ist: "Warum machen solche Leute wie die Ruschs so eine Stiftung? Letztlich doch, damit ihr Name weiterlebt. Auch wenn sie das eine oder andere vielleicht gar nicht verstehen würden."

Denn das Ehepaar Schmodde ist sehr jung in dem, was es ermöglicht: "Wir sind ja normale Bildungsbürger, aber wir wollen nicht ein Publikum ansprechen, das unser Alter hat, sondern sehr viel Jüngere. Es soll jung und gesellschaftlich relevant sein." Ein gutes Bauchgefühl hätten sie da entwickelt und keine Berührungsängste mehr. Früher sei es schon mal vorgekommen, dass sie bei einem Performance-Kollektiv wie "She She Pop" voreilig die Nase gerümpft hätten. Und hinterher zerknirscht feststellen mussten: "Das hätten wir mal fördern sollen!"

Heute sind die beiden viel offener. Auf ihrem Juni-Programm stehen ein Jazzkonzert in der Landesvertretung Hamburgs in Berlin, zwei Konzerte des Trios Boulanger in Berlin (Sonntag) und Hamburg 20. Juni, 19.30 Uhr, auf Kampnagel. Dann "Der Ring des Nibelungen" von Stefan Kaminski, nachRichard Wagner als vierteiliges Live-Hörspiel, Kampnagel (14. bis 17. Juni, jeweils 20 Uhr), sowie eine Performance in den Sophiensälen, Berlin-Mitte (22. Juni): "Utopisch denken". Pro Jahr fördert die Rusch-Stiftungetwa 25 Veranstaltungen.

Berlin und Hamburg - kulturell ist das keine einfache Beziehung in Zeiten, da Hamburg eine Auswanderungswelle in Richtung Spree laufen sieht - auch wenn Intendanten sowie Senatoren von hier nach dort wechseln und umgekehrt. Die beiden Schmoddes nehmen den Auftrag der Stifter sehr ernst, für beide Städte zu arbeiten. "Dabei muss man manchmal mit Berliner Hochnäsigkeit leben: 'Soll'n wa die Provinz nu ooch noch mitversorgen?' Und manchmal Hamburg entwickeln, damit es in Berlin überhaupt wahrgenommen wird." Sie sehen aber: Der Austausch ist sinnvoll, und er hilft Künstlern, wenn er in deren Vita auftaucht. Ärger gibt es in der Stiftungsarbeit kaum, wundern können sich die Schmoddes schon öfter. Wenn z. B. nach Gesprächen etwa mit der Musikhochschule von dort kaum eine Initiative kommt, versprochene Mittel abzurufen. "Da muss man immer wieder rütteln, damit da was passiert. Jemand, der sich nicht meldet, wenn er insgesamt sogar 30 000 Euro bekommen könnte, muss doch tot sein!" Aber auch sonst empfangen sie weniger Anträge, als sie wollen - manchmal nur einen pro Monat. Dann werden sie selbstaktiv, stoßen Leute an, fragen Intendanten, wo Not am Projekt ist.

Viele haben verstanden, was sie an der Rusch-Stiftung haben. "Wir hören immer wieder: Ihr seid extrem schnell und verlässlich." Kein Wunder: Die Stiftung "wohnt" auf Barbara Schmoddes Schreibtisch, hat nur ein Handy. Undsie kann - getragen auch von dem Vorstandskollegen in Berlin - manchmal in nur fünf Minuten entscheiden.

Ihre persönliche Bilanz nach sieben Jahren Stiftung? "Wir sind in eineWelt hineingekommen", sagt Barbara Schmodde, "die wir in unserem normalen bürgerlichen Leben so nie erlebt hätten, und wir haben durch das Reisen auch das Glück, so viel zu sehen, dass wir gut vergleichen können." Ihr Mann ergänzt: "Wir sind dadurch unglaublich bereichert, und der Kontakt zu den jungen Leuten hält uns jung. Die Arbeit macht Spaß, sie trägt unsere Handschrift, und wir würden das bestimmt noch mal machen, wenn wir jüngerwären."

Barbara und Hasko Schmodde reichen den roten Faden weiter an Christine Behrens vom Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof, weil "wir es gut finden, dass eine Hamburgerin, die aus Frankreich zugewandert ist, sich ehrenamtlich in so zentralen Fragen von Leben und Tod engagiert und das Bewahren der Schönheiten des Friedhofs zu ihrer Sache macht".