Die sehenswerte Künstler-Dokumentation “Ai Weiwei - Never Sorry“ wird am Sonntag um 11 Uhr als Preview im Abaton-Kino gezeigt.

Abaton. Es ist ein wichtiges Zeitdokument - ein Film über das "andere Gesicht Chinas" und die Rolle der Kunst. Packend dokumentiert "Ai Weiwei - Never Sorry" das Werk des berühmtesten zeitgenössischen Künstlers Chinas und seinen Kampf gegen das Unrechtssystem. Zu sehen ist die Dokumentation im Rahmen einer Preview an diesem Sonntag im Abaton, der reguläre Kinostart folgt am 14. Juni.

Regisseurin Alison Klayman hat Ai Weiwei über drei Jahre begleitet, seine Familie, Freunde und Kollegen interviewt. Ihre 91-minütige Dokumentation ist ein bewegendes Porträt einer der wichtigsten Persönlichkeiten des modernen Chinas.

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"Wer den Film gesehen hat, wird klar verstehen, was für ein China und was für eine Gesellschaft wir uns wünschen, um etwas zur Menschheit beizutragen", sagt der 55-Jährige. Der Film, den Ai Weiwei "sehr authentisch" nennt, steht im krassen Gegensatz zum offiziellen Kulturjahr Chinas, das die chinesische Regierung gerade in Deutschland veranstaltet.

"Ich bin so etwas wie ein Schachspieler. Mein Gegner macht einen Zug, ich mache einen Zug", sagt der Künstler und Blogger zu Beginn. Ai Weiwei baut am "Vogelnest" genannten Olympiastadion mit, distanziert sich aber später und verurteilt das "falsche Lächeln für die Ausländer". Nach dem verheerenden Erdbeben 2008 in Sichuan mit 87 000 Toten sammelt Ai Weiwei die Namen von fast 5000 getöteten Kindern, die in ihren Schulen ums Leben kamen. Durch Pfusch am Bau waren viele Schulgebäude eingestürzt, während andere Häuser standhielten. Als einer seiner Helfer, der Aktivist Tan Zuoren, vor Gericht gestellt wird, will Ai Weiwei als Zeuge aussagen. Im Hotel wird er aber von Polizisten geprügelt und festgehalten. Die Schläge auf den Kopf lösen ein lebensgefährliches Blutgerinnsel aus. In einer Notoperation in München wird der Künstler einen Monat später gerettet. Mit seiner Hartnäckigkeit und seinem Mut erinnert Ai Weiwei an seinen Vater, den berühmten Dichter Ai Qing, der in der Kulturrevolution vor den Augen des Sohnes angeprangert und misshandelt wurde. Diese Erinnerung kann Ai Weiwei "nicht auslöschen".

In München stellt Ai Weiwei eine gigantische Wand mit Rucksäcken aus, damit die getöteten Kinder von Sichuan nicht vergessen werden. In der Tate Modern Galerie in London verstreut er Millionen von Sonnenblumenkernen aus Porzellan - als Symbol für das Individuum und ebenso eine Anspielung auf Mao Tsetung, der als Sonne gesehen wurde, dem das Volk wie Sonnenblumen folgt. "Ich bin sehr stolz auf ihn", sagt Ai Weiweis Mutter Gao Yin. "Er spricht für die einfachen Menschen." Sie hat Angst um ihn, sagt aber auch: "Ein Mensch kann die Probleme eines ganzen Landes nicht lösen, aber was passiert, wenn jeder die Probleme eines Landes ignoriert?" Ai Weiwei ist mehr als ein Künstler - sein Name stehe "für freiheitliches Denken und Individualismus", sagt er über sich selber.

1983 besucht Ai Weiwei erstmals New York, lebt jahrelang im Big Apple, sieht, wie das freiheitliche System in den USA funktioniert und ist geschockt, als 1989 in seiner Heimat die Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen wird. 1993 kehrt er nach China zurück. Sein Vater ist alt und krank. "Freiheit ist ein merkwürdiges Ding: Wenn man sie einmal erlebt hat, bleibt sie im Herzen - und niemand kann sie wegnehmen."

Ai Weiwei hat einen weiteren "Schatz", seinen unehelichen Sohn Ai Lao. Sich selbst beschreibt Ai Weiwei im Film als "ewigen Optimisten" und definiert: "Optimismus ist, wenn du vom Leben begeistert bist, wenn du neugierig bist und du weiter glaubst, dass es Möglichkeiten gibt." Mit dem Sohn auf dem Schoß erlebt Ai Weiwei sichtlich gerührt am Computer, wie der inhaftierte Bürgerrechtler Liu Xiaobo 2010 den Friedensnobelpreis verliehen bekommt - "ein Augenblick, in dem jeder Chinese stolz sein sollte".

Es wird auch enger für ihn. Anfang 2011 wird sein Studio in Shanghai abgerissen. Im April 2012 verschwindet Ai Weiwei. Weltweit erschallt der Ruf "Wo ist Ai Weiwei?" Der internationale Druck wächst. Die Behörden basteln einen Vorwurf der Steuerhinterziehung, wollen ihn zum Schweigen bringen. Nach 81 Tagen in Einzelhaft - ständig umgeben von zwei Polizisten - kommt Ai Weiwei frei, darf das Land aber nicht verlassen und keine Interviews geben. "Tut mir leid", muss der Künstler alle Fragen abweisen: "So sorry."

Sein Markenzeichen ist eigentlich "Never Sorry": Es ist ein Protest gegen die Gleichgültigkeit, die in der Ausrede "so Sorry" steckt, mit der sich die Mächtigen gerne aus der Verantwortung ziehen. Auf freiem Fuß besinnt sich Ai Weiwei auf das Privatleben, genießt das Dasein als Vater. Nur langsam traut er sich, erneut Interviews zu geben. Doch bald spricht er wieder Klartext: "Es gibt eine Verantwortung für jeden Künstler, die Meinungsfreiheit zu schützen."

"Ai Weiwei - Never Sorry" So 10.6., 11.00, Abaton (Metrobus 4/5), Allende-Platz 3, Karten: 7,50/6,50; www.abaton.de