Unternehmer kämpft gegen die Versicherungspflicht für Selbstständige. Seine Online-Petition haben 80.000 Menschen unterschrieben.

Hamburg. Seine Firma gründete Tim Wessels mit 15. Da hatte er noch kein Abitur, keinen echten Businessplan, keine zehn Mitarbeiter und keine Ahnung vom Rentensystem. Jetzt ist er 27. Abgesehen vom beruflichen Erfolg hat Tim Wessels heute 80 629 Unterstützer, die wie er die geplante Rentenversicherungspflicht für Selbstständige unsinnig finden. Und der Hamburger Unternehmer in Sachen Computer-Dienstleistungen ("fair and friendly") hat am Montag einen Termin bei Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Sie bat darum.

Man muss Wessels ernst nehmen. Er hat binnen vier Wochen derart viele Anhänger für seine Online-Petition beim Bundestag geworben, dass sich Parlament und Bundesregierung mit seinem Anliegen befassen müssen. Von der Leyen und Wessels wollen über die gesetzliche Rente reden. Die Ausstrahlung von der Leyens und ihre Sattelfestigkeit beim Thema Arbeit und Altersvorsorge werden Wessels kaum beeindrucken. Der Rentenrebell ist skeptisch gegenüber Politik und Parteien. Die Einladung sei schon ein wichtiger Schritt, sagte Wessels dem Abendblatt. "Ob man unsere Bedenken tatsächlich ernst nimmt und daraus Konsequenzen zieht, muss sich aber noch zeigen."

+++ Deutlich mehr Freiberufler +++

Jahrzehntelang waren Beiträge der heute 4,3 Millionen Selbstständigen in Deutschland zur gesetzlichen Rentenversicherung kein Thema. Um ihren Lebensunterhalt im Alter kümmern sie sich selbst, wenn es nicht berufsständische Vertretungen tun wie etwa bei niedergelassenen Ärzten oder die Künstlersozialversicherung für Schauspieler, Autoren und andere Freischaffende. Doch seit den Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 ist die Zahl der Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmer spürbar gestiegen: bei den Dienstleistungen, im Baugewerbe, im Grundstückswesen. Und diese freiberuflichen Friseure, Maurer, Putzfrauen oder auch Computer-Engel mit eigener Belegschaft wie Wessels müssen sich eine private Rente aufbauen, um im Alter nicht auf die Grundsicherung (Hartz IV für Rentner) angewiesen zu sein.

Schon wer als Angestellter permanent Minijobs hat, geringfügig beschäftigt ist, zwischendurch mal gar nicht, auf den wartet im Alter nur eine Minirente. Für den Aufbau einer privaten Zusatzabsicherung wurden Riester- und Rürup-Renten geschaffen, die staatlich bezuschusst werden. Denn trotz des Höchststandes an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten werden künftig weniger Beitragszahler mehr Rentner finanzieren müssen.

Für viele Menschen, die trotz Arbeit nur eine Rente auf Niveau der Grundsicherung bekommen werden, plant von der Leyen eine Zuschussrente. Die erhalten Arbeitnehmer, wenn sie lange Jahre von Beitragszeiten und eine private Absicherung haben. Genaue Bedingungen werden noch ausgehandelt. Die Selbstständigen ohne eigene Absicherung sollen - eine alte Idee von Rentenversicherungspräsident Herbert Rische - ebenfalls von der gesetzlichen Rentenkasse vereinnahmt werden. Nicht um sie zu bevormunden, sondern um ihr Risiko von Altersarmut zu verringern. 250 bis 300 Euro sollen sie monatlich in die Rentenversicherung einzahlen. Wer erst mit Ende 20 oder Anfang 30 anfängt, müsste nach bislang ungenauen Plänen vermutlich 400 Euro an die gesetzliche Kasse überweisen.

Unternehmer Wessels hält das für realitätsfremd. "Ich weiß, dass es keine Vollkasko-Absicherung gibt. Ich möchte aber selbst entscheiden, wie ich für mein Alter vorsorge und wann ich aus dem Job aussteige. Der Staat traut mir die richtige Entscheidung über meine Rente nicht zu. Dabei ist das planbar. Und als Unternehmer hat man schwierigere Entscheidungen zu treffen als über die eigene Rente."

Das sagt der Unternehmer, der sich mit einer Petition gegen die Pläne der Ministerin stemmt. "Aber die kleinen Handwerker, die Gemüsehändler und freien Dienstleister müssen doch für ihre Rente vorsorgen, um der Allgemeinheit später nicht auf der Tasche zu liegen!" Das ist Volkes Stimme. Im Dickicht des deutschen Rentenrechts wuchern Horrorszenarien und kühle Reformen. Aber das System lebt, stabil und erfolgreich. Die Überschüsse der Rentenkasse führen bei anhaltendem Job-Boom zu einer weiteren Beitragssenkung im kommenden Jahr.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht eine Versicherungspflicht für Selbstständige mit gemischten Gefühlen: "Die Pläne der Arbeitsministerin sind vielleicht gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Vor allem ein pauschaler Beitrag von 400 Euro würde viele, vor allem prekäre Selbstständige, die kaum wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, unnötig und unverhältnismäßig belasten", sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach dem Abendblatt. "Wir schlagen vor, die Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, aber die Beiträge auf das tatsächliche Einkommen zu beziehen und die Auftraggeber zu verpflichten, die Hälfte der Rentenbeiträge zu tragen. So können Millionen von Selbstständigen vor Altersarmut geschützt werden, ohne sie übermäßig zu belasten."

Tim Wessels argumentiert ähnlich - mit umgekehrtem Ziel: Viele, die sich die neuen Rentenbeiträge nicht leisten könnten, würden in Hartz IV gedrängt. Vor allem bei den unter 30-Jährigen würge man einen unternehmerischen Geist dadurch ab.

Paradox sei, dass von der Leyen eine Immobilie als private Vorsorge nicht anerkenne. Wie Angestellte arbeiten viele Selbstständige auf die eigenen vier Wände hin. Ein Haus oder eine Wohnung werden als private Absicherung im geplanten Selbstständigen-Modell allerdings nicht akzeptiert. Eine private Rentenversicherung, so die Pläne, darf nicht pfändbar oder vererbbar sein. "Dann", sagt Wessels, "hätte ich auch noch einen finanziellen Schaden, wenn ich vielleicht eine Hypothek nicht mehr zahlen kann, weil ich hohe Beiträge zur Rentenversicherung leisten muss."