Georg Wilhelm Claussen leitete mehr als zwei Jahrzehnte den Beiersdorf-Konzern. Heute feiert der Hamburger Unternehmer seinen 100. Geburtstag.

Mensch Claussen, hat er gesagt, wer hätte gedacht, dass aus uns beiden noch was wird?" Georg Wilhelm Claussen schmunzelt amüsiert, als er sich an die Begegnung mit dem Klassenkameraden erinnert. Denn beide waren als Schüler nicht gerade Leuchten, mussten jeweils eine Klasse am Reform-Realgymnasium in Altona wiederholen. Nun aber, fast 50 Jahre später, zählten sie zu den herausragenden Unternehmenslenkern im Nachkriegsdeutschland. Claussen führte mit Beiersdorf einen großen deutschen Körperpflegekonzern und sein Mitschüler, der ihm damals auf der Treppe des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe entgegenkam, prägte maßgeblich die deutsche Presselandschaft mit. Es war Axel Springer.

"Der Axel war ein Phänomen und bei all seinen Verrücktheiten ein großartiger Mann", schwärmt Claussen. "Und ein ausgesprochener Lebemann, der mit Frack ins Nachtlokal Trocadero ging", fügt er schelmisch hinzu. Manchmal sei Springer auch mit dem Auto seines Vaters zur Schule gekommen und habe Kameraden, darunter auch Claussen, zu einer Spritztour durch Altona eingeladen.

Würdevoll sitzt der "Alte Herr", wie Claussen respektvoll bei Beiersdorf genannt wird, in einem dunklen Anzug im Wohnzimmer seines Hauses in Nienstedten. Auf dem Beistelltisch steht ein Foto seiner vor 15 Jahren verstorbenen Frau Susanne, das klassizistische Mobiliar stammt noch von seinen Eltern. Und in einer kleinen Bibliothek nebenan steht ein lederner Ohrensessel. Er gehörte einst Claussens Großonkel Oscar Troplowitz, der 1890 das Laboratorium von Paul Carl Beiersdorf kaufte und zu einem weltweit agierenden Konzern ausbaute.

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In ruhigen, mit Bedacht gewählten Worten erinnert sich Claussen an finstere Zeiten, die bald auf die Schuljahre folgten. "Nach der Machtergreifung Hitlers stand Beiersdorf unter entsetzlichem Druck. Nicht nur die staatlichen Stellen, auch die Konkurrenten wollten uns nichts Gutes", ist er noch heute empört. Die hätten an die Fensterscheiben von Apotheken und Drogerien Plakate geklebt mit Aufforderungen wie "Kauft nicht bei Juden".

Troplowitz, der schon 1918 starb, war Jude gewesen. Willy Jacobsohn, der danach die Geschäftsführung übernommen hatte, war ebenfalls Jude. Mit den anderen jüdischen Vorstandsmitgliedern des Konzerns, der inzwischen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war, verließ Jacobsohn kurz nach der Machtergreifung Deutschland und führte bis 1938 das Auslandsgeschäft von Beiersdorf von Amsterdam aus. An die Unternehmensspitze rückte Carl Claussen, der Vater des Jubilars. Er kannte das Unternehmen aus seiner vorherigen Tätigkeit im Aufsichtsrat und war zudem mit einer Nichte von Troplowitz, Martha Pulvermacher, verheiratet. "Es ist das große Verdienst meines Vaters, dass er Beiersdorf durch die Nazi-Zeit gebracht hat und auch dafür sorgte, dass diese entsetzlichen Angriffe aufhörten", urteilt Claussen. "Oft ist er damals mit unserem Rechtsberater nach Berlin gefahren."

Auch Georg Wilhelm Claussen hatte Deutschland in den 1930er-Jahren zeitweilig verlassen und bei einer amerikanischen chemisch-pharmazeutischen Fabrik in Großbritannien gearbeitet. Eigentlich sollte er deren Vertretung in Deutschland, Österreich und der Schweiz übernehmen. Doch aufgrund der zunehmend aggressiven Politik des Nazi-Regimes gegenüber der Tschechoslowakei habe das Unternehmen beschlossen, "keinen Pfennig mehr in Deutschland auszugeben". Und Georg Wilhelm Claussen beschloss, zu Beiersdorf zu wechseln. "Ich habe meinen Vater in langen Spaziergängen an der Elbe dazu überredet."

Carl Claussen fürchtete weiteren Schaden für das Unternehmen, weil sein Sohn in der Nazi-Terminologie als "Halbjude" galt. Schließlich aber setzte sich Georg Wilhelm durch und lernte zunächst sämtliche kaufmännischen Abteilungen des Konzerns kennen - heute würde man so etwas ein Trainee-Programm nennen. Später wurde Claussen zum Arbeitsdienst eingezogen, wo er vorwiegend Notunterkünfte baute. Überschattet wurde die Zeit von der ständigen Angst um seine Mutter. Nur durch das Attest eines "mutigen Arztes, Professor Kroetz, seinerzeit Direktor des Altonaer Krankenhauses", wie Claussen sich erinnert, sei sie im Februar 1945 vor dem Abtransport nach Theresienstadt bewahrt worden.

Gleich nach Kriegsende fuhr er mit einem Mitarbeiter im Opel-Eintonner nach Süddeutschland, um Rohstoffe zu besorgen. Seinerzeit ein äußerst schwieriges Unterfangen, auch bei Firmen wie BASF und Bayer, die er damals aufsuchte. Auf der Tour traf er endlich nahe Würzburg seine Braut wieder: "Es war natürlich nicht ideal, die Hochzeitsreise zu dritt zu verbringen."

Die Jahre nach Kriegsende seien "ganz schlecht" gewesen. "Man hatte allenfalls das Notwendigste. Heute hat man Überfluss. Fabelhaft. Ich wünschte, die Leute wüssten das wenigstens." Eine prägende Erfahrung. So ist Claussen auch heute noch bei aller Vornehmheit und trotz seines Vermögens genügsam, bescheiden und unprätentiös.

"Nach der Währungsreform im Juni 1948 war dann aber plötzlich alles da." Um diese Zeit erkannte dann auch sein Vater, "dass er in seinem Sohn eine Stütze hatte", erzählt Claussen stolz. Mit dem beginnenden Wirtschaftswunder startete denn auch seine Karriere, die ihn 1957 an die Unternehmensspitze führte - drei Jahre nachdem Carl Claussen gestorben war. Auch die Mehrheitsaktionäre vom Versicherungsriesen Allianz, der damals 38 Prozent an Beiersdorf hielt, und der Hausbank M.M.Warburg-Brinckmann, Wirtz & Co., der 17 Prozent gehörten, hatten sein Talent erkannt.

"Ich hatte das Glück, dass ich mit denen keine Schwierigkeiten hatte und meine Entscheidungen immer akzeptiert wurden", hebt Claussen hervor. Das kann man gut glauben, denn in seinen 22 Jahren als Unternehmenschef verdreißigfachte er in etwa den Umsatz - heute kaum mehr vorstellbare Daten sowohl was die lange Amtszeit als auch was die ungeheure Expansion einer eingesessenen Aktiengesellschaft anbelangt.

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Als größte Herausforderung während seiner Zeit in der Geschäftsführung sieht Claussen die Umstellung des Verkaufssystems in den 1970er-Jahren. Denn Beiersdorf hatte bis dahin in allen großen Städten eigene Lager mit Vertretern, die die Produkte an Apotheker, Drogerien und Friseure verkauften. Jetzt aber waren die Artikel über Grossisten in die Regale der aufkommenden Supermärkte zu bringen. "Die Vertreter mussten nun irgendwo anders im Unternehmen untergebracht werden. Das war schwierig, hat dann aber sehr gut geklappt."

Darin klingt die Einstellung eines "Patriarchen im besten Sinne" durch, wie Claussen einmal von einem seiner Nachfolger, Hans-Otto Wöbcke, genannt wurde. Claussen sah sich in der quasi familiären Pflicht und Verantwortung, die Existenzgrundlage der Mitarbeiter zu sichern. "Deren Wohl und Wehe lag mir immer sehr am Herzen", sagt der Jubilar, der mindestens einmal in der Woche durch die Fabrikation gegangen ist und sich mit den Leuten unterhalten hat. Das hatte schon sein Vater so gemacht. Claussens Beliebtheit bei den Beiersdorfern erklärte der frühere Finanzvorstand des Unternehmens, Peter Schäfer, einmal damit, dass dessen "Aufmerksamkeit und Freundlichkeit gegenüber seinem Gesprächspartner nicht von dessen Rang oder Bedeutung beeinflusst wird" und die Leute dies wüssten.

Überhaupt sei "der Gedanke, etwas für die Belegschaft zu tun, seit Troplowitz bei Beiersdorf sehr groß gewesen", bemerkt Claussen. Sein Großonkel richtete beispielsweise Stillstuben für alleinerziehende Mütter ein, aus denen später ein betriebseigener Kindergarten erwuchs, gründete die Troma, eine betriebseigene Altersvorsorge, und bot kostenloses Mittagsessen an.

Claussen führte auch eine Vielzahl von Marken ein. "Am epochalsten war wohl 8x4", meint der Jubilar. Dabei hatte er Zweifel, als ihm der Werbeleiter Juan Gregorio Clausen sagte, wie das Deodorant heißen soll. "Zahlen waren damals völlig neu in Produktnamen." Claussen beruhigte sich aber, als ihm erklärt wurde, 8x4 leite sich aus den 32 Buchstaben des Wirkstoffes ab. Später baute er die Produktreihe weiter aus. Diese "Line Extension", wie man heute sagt, erfuhr unter seiner Ägide auch die Marke Nivea, deren Sinnenschutzserie ausgebaut und die auch um Nivea Milk erweitert wurde. Überdies führte Claussen atrix und die Serie pH5 Eucerin ein, die jetzt schlicht Eucerin heißt.

Eine weitere große Herausforderung bestand im Rückkauf ausländischer Markenrechte. "Beiersdorf war ja eine der wenigen deutschen Firmen, die in vielen anderen Staaten Tochtergesellschaften hatte. Das war nun unser großes Leid." Denn während des Krieges waren die Firmen und die Markenrechte im Ausland konfisziert worden. Um das internationale Geschäft wieder aufzubauen, mussten sie wieder erworben werden - ein mühsamer Prozess, der erst unter dem dritten Nachfolger Claussens an der Unternehmensspitze, Rolf Kunisch, 1997 abgeschlossen wurde. Claussen ärgert sich heute, dass nicht gleich nach dem Wiedererwerb der Markenzeichen in den USA "mit aller Kraft" versucht worden sei, dort Fuß zu fassen. "Aber Sie können nicht Unternehmer sein, wenn Sie nicht riskieren, Entscheidungen zu bereuen."

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Noch heute als Ehrenvorsitzender der Gesellschaft kommt Claussen jede Woche einmal in sein Büro in der Zentrale - soweit es seine Gesundheit erlaubt. Im vergangenen Jahr hatte ihn nämlich eine Krankheit länger ans Bett gefesselt. So fiel auch sein allmorgendliches Schwimmen aus, "das mich vor allem fit gehalten hat". Selbst bei minus vier Grad Celsius Lufttemperatur wagte sich Claussen noch hinaus in das beheizte Nass des kleinen Pools hinter dem Haus.

Vielfältig und generös ist bis heute Claussens philanthropisches Engagement. Im vergangenen Jahr ermöglichte Claussen der Hamburger Kunsthalle zusammen mit anderen Spendern den Kauf von sieben Gemälden Philipp Otto Runges - ein "Ankauf von nationaler Bedeutung", wie Kulturstaatssekretär Bernd Neumann (CDU) sagte.

Im Jahr 1960 hatte sich Claussen sogar vom Aufsichtsrat "eine stolze Summe" für den Rückkauf des frühen Picasso Gemäldes "Die Absinthtrinkerin" genehmigen lassen. Oscar Troplowitz und seine Frau Gertrud, die auch bedeutende Kunstsammler waren, hatten es der Hamburger Kunsthalle vermacht. 1937 wurde es dort als "entartet" konfisziert und vier Jahre später an den Augenarzt und Kunstsammler Othmar Huber aus dem schweizerischen Glarus verkauft. Huber war aber trotz dieser Umstände nicht bereit, sich davon zu trennen, als Claussen ihn fast zwei Jahrzehnte später mit dem damaligen Kunsthallendirektor Alfred Hentzen aufsuchte. Statt wieder als Dauerleihgabe in der Kunsthalle hängt es als Eigentum der Stiftung Othmar Huber im Kunstmuseum Bern. "Ich habe es dort schon mehrere Male betrachtet und stets kamen mir die Tränen", sagt Claussen leise.

Den Empfang, den er heute zu seinem 100. Geburtstag in seinem Hause gibt, wird er sich aber deswegen nicht trüben lassen. Auch wenn Claussen nach seiner Krankheit noch etwas heiser ist und sich vor Erkältungen hüten muss: Es gibt wenige 100-Jährige, die noch so rüstig und geistig präsent sind wie er. Das allein ist schon Grund genug zum Feiern. Das Strahlen in seinen wachen Augen kündet auch von der Vorfreude, viele Freunde und Wegbegleiter wiederzusehen. Vermissen wird er aber wohl seine Frau Susanne. "Aber ihr starker, energischer Geist ist hier immer noch präsent", betont er am Ende des Gesprächs.